Im Kampf gegen den Klimawandel hat der Kanton Bern erst vor wenigen Monaten eine nationale Pionierrolle eingenommen. Bernerinnen und Berner nahmen im September 2021 mit 63.9 Prozent Ja-Stimmen den sogenannten Klimaartikel wuchtig an. Auch etliche ländliche Gebiete stimmten dafür.
Als schweizweit erster Kanton schrieb sich Bern den verhältnismässig ambitionierten Auftrag in die Verfassung: Bis 2050 muss er alles in seiner Macht Stehende dafür tun, dass das Ziel von netto null Treibhausgas-Emissionen erreicht wird.
Keine Chance für Öko-Motorfahrzeugsteuern
Den Tatbeweis für mehr Klimaschutz bleiben die Stimmberechtigen aber schuldig: Nur fünf Monate später lehnten die Bernerinnen und Berner am Sonntag ökologischere Motorfahrzeugsteuern mit 53 Prozent Nein-Stimmen ab.
Mit dem angepassten Steuersystem sollten die Leute animiert werden, umweltfreundlichere Fahrzeuge zu verwenden. Denn der Verkehr ist in der Schweiz für über 32 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wie schon auf schweizerischer Ebene beim CO2-Gesetz, ist es der SVP auch diesmal im Kanton Bern gelungen, die ländliche Bevölkerung stark zu mobilisieren – indem sie auf den Kampf Land gegen Stadt setzte.
Aber selbst in Städten war der Nein-Anteil überraschend gross. Im linken Biel etwa stimmten «nur» 61 Prozent für die ökologischeren Motorfahrzeugsteuern. «Klimaschutzmassnahmen sind dann beliebt, wenn man nicht ins eigene Portemonnaie greifen muss», analysierte der zuständige Berner Regierungsrat Philippe Müller die Abstimmungs-Schlappe.
Umweltpolitik über den Preis zu machen, funktioniert offensichtlich nicht.
Ob Flugticketabgabe oder höhere Benzinpreise: Bereits bei der Ablehnung des nationalen CO2-Gesetzes im Juni 2021 gab die Angst vor höheren Kosten den Ausschlag. «Umweltpolitik über den Preis zu machen, funktioniert offensichtlich nicht», sagt Grüne-Nationalrätin Regula Rytz zu Radio SRF. Öko-Lenkungsabgaben hätten es schwer – selbst wenn sie, wie bei den Vorlagen vorgesehen, an die Bevölkerung zurückvergütet würden. Der Rückverteilungs-Mechanismus sei der breiten Bevölkerung nur sehr schwer zu vermitteln.
Absichtserklärung und Realität prallen also beim Klimaschutz weit auseinander. Politologe Marc Bühlmann sagt dazu: «Umweltschutzvorlagen sollten nicht mit zusätzlichen Kosten verknüpft sein, wenn man sie durchbringen will.» Er nennt einen weiteren Grund für das klare Nein: Die Mobilisierung etwa in der Stadt Bern sei nicht mehr so stark gewesen wie bei früheren Abstimmungen.
Die Berner SVP-Grossrätin Andrea Gschwend kämpfte gegen die Vorlage. Sie streicht den hohen Nein-Anteil der Landbevölkerung hervor. «Die Leute, die auf ein grösseres, stärkeres Auto angewiesen sind, wollten sich durch das Gesetz nicht bestrafen lassen», bilanziert sie.
Öffentliche Hand soll Klima-Offensive bezahlen
Wie geht es weiter nach dem Nein zu ökologischeren Fahrzeugsteuern? Eine Gruppe von Berner FDP-Grossräten will derweil den eigentlichen Kern der Autosteuer-Vorlage retten, wie die Tamedia-Zeitungen berichten. Wie in der gescheiterten Vorlage solle der CO2-Ausstoss der Autos ein Faktor bei der Besteuerung werden. Auch der heute geltende Rabatt für die schwersten Fahrzeuge soll fallen. In der Summe sollen die Autosteuern aber nicht steigen.
Grüne-Nationalrätin Rytz will hingegen mit Investitionen der öffentlichen Hand die Klimawende voranbringen. «Dann zahlen Haushalte mit kleinem Einkommen weniger, anders als im liberalen Lenkungsabgabesystem.»