In einem Monat entscheidet das Schweizer Stimmvolk über das Covid-Gesetz. Zentral ist dabei das Covid-Zertifikat, für welches das Gesetz die rechtliche Grundlage bildet. Im Interview zum Tag erklärt Bundesrat Alain Berset, warum er zurzeit keine Alternative sieht.
SRF News: Im Zentrum des Abstimmungskampfes steht das Covid-Zertifikat. Für die Gegner spaltet dieses die Gesellschaft. Nehmen Sie diese Spaltung in Kauf?
Alain Berset: Wir müssen sehen, woher wir kommen. 19 Monate, die schlimmste Krise, die unser Land seit 80 oder 100 Jahren erlebt hat. Vor einem Jahr war alles geschlossen. Mit dem Zertifikat kann man zeigen, dass man nicht ansteckend ist. Für Leute, die sich testen lassen, die genesen oder geimpft sind, ist das kein Problem.
Spüren Sie die erwähnte Spaltung auch in Ihrem Umfeld?
Nein, die Spaltung spüre ich nicht. Ich merke aber, es ist mühsam für alle, dass diese Lösung dasteht. Sie erlaubt, dass wir keine Schliessungen mehr haben. Ja, es ist mühsam, mit einem Zertifikat arbeiten zu müssen. Aber für eine gewisse Zeit macht es Öffnungen möglich.
Die Zertifikatspflicht hat den Druck, sich impfen zu lassen, erhöht. Doch es gibt Menschen, die eigentlich keine Impfung wollen, denen aber das regelmässige Testen zu mühsam oder zu teuer ist. Da kann man nicht von einem freien Entscheid sprechen.
Wir waren in den vergangenen 19 Monaten alle gezwungen, mit dieser Krise zu leben und wir waren alle gezwungen, einen Weg zu finden. Tausende von Unternehmen waren gezwungen, während Monaten geschlossen zu bleiben – nicht nur in der Schweiz, auf der ganzen Welt.
Eine Krise zwingt uns zu unschönen Wegen. Aber wir haben einfach keine andere Wahl.
In anderen Ländern war es noch viel schwieriger als bei uns. Wir hatten noch Glück, dass bei uns die Massnahmen eher moderat waren. Ja klar: Eine Krise zwingt uns zu unschönen und nicht gewollten Wegen. Aber wir haben einfach keine andere Wahl.
Das Covid-Zertifikat sei gefährlich, weil es Menschen den Zugang oder Nicht-Zugang zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gestattet oder verweigert. Wissen Sie, wer das gesagt hat?
Nein, aber ich meine, es ist sowieso falsch.
Es war Schriftstellerin Sibylle Berg, der Sie vor fast zwei Jahren den wichtigsten Literaturpreis der Schweiz verliehen haben.
Es darf eine Debatte geben in unserem Land. Wir sind das einzige Land, das über ein Covid-Gesetz abstimmt. Das ist eine gute Sache. Das Zertifikat steht allen zur Verfügung. Wenn man das nicht will, dann ist es so. Wir hoffen, dass es schnell wieder ohne Zertifikat geht. Aber im Moment ist das Covid-Zertifikat der Weg aus der Krise.
Das Gesetz gibt die Möglichkeit, das Contact Tracing auszuweiten. Hier gibt es die Befürchtung, dass im Schatten der Pandemie die Voraussetzungen geschaffen werden für einen Überwachungsstaat. Verstehen Sie das?
Ich verstehe das Unbehagen gewisser Leute. Wenn man schaut, wie es geregelt worden ist, sieht man aber sehr rasch, dass so etwas nicht passieren kann.
Der Widerstand gegen das Gesetz kommt im Gegensatz zur ersten Abstimmung nicht mehr nur von rechts. Sondern auch von links oder aus Kreisen, die für die Impfung sind, denen das Gesetz aber zu weit geht.
Was gibt es denn für eine Alternative? Wenn die Alternative wäre, wie in anderen Ländern wieder viel strenger vorzugehen oder Orte zu schliessen und Kapazitäten zu reduzieren, dann sieht das der Bundesrat einfach nicht.
Das Gespräch führte Gion-Duri Vincenz.