Es begann Anfang Jahr. Zum Start der Impfkampagne ergriff Mitte-Nationalrat Lorenz Hess die Initiative für eine rechtliche Grundlage eines Covid-Zertifikats. «Mir war klar, dass früher oder später der Ruf nach einer Art Ausweis kommen würde.» Zudem habe er klare Signale aus den Bereichen Sport und Events und von Datenschutzbeauftragten bekommen, man solle eine Regelung dazu einführen.
Doch es brauchte zwei Anläufe. In einer ersten Runde scheiterte Hess bereits in der zuständigen Kommission. Auch das Bundesamt für Justiz sagte, es brauche keine rechtliche Grundlage für ein Zertifikat, weil jeder Restaurantbesitzer von sich aus nur Geimpfte hereinlassen könne.
«Green Pass» beeinflusste Schweizer Entscheid
Nachdem Israel dann aber einen «Green Pass» einführte, sagte das Parlament in der Märzsession praktisch diskussionslos Ja zu einem Gesetzesartikel für ein Zertifikat. Auch der Bundesrat, vertreten durch Ueli Maurer, unterstützte dies. Damals sah Maurer in einer bundesrätlichen Verordnung noch kein Problem. Erst später wetterte er gegen die angebliche Machtlust des Bundesrates.
Der Bundesrat führte die Zertifikatspflicht zunächst für Grossanlässe ein. Als dann die Forderung aufkam, er solle diese auch für Restaurants und andere Lokalitäten vorschreiben, sprach Alain Berset zunächst von einer bizarren Diskussion, um nur wenige Wochen später genau das zu machen.
Zertifikat: Einführung, nicht Anwendung zur Diskussion
Nun kommt das Covid-Gesetz wieder an die Urne. Das Problem dabei: Wir stimmen über einen Artikel im Covid-Gesetz ab, der das Zertifikat einführt. Die Gegner wehren sich aber primär gegen die Anwendung des Zertifikats, dass Geimpfte und Ungeimpfte ungleich behandelt werden.
Über diese Ungleichbehandlung stimmen wir aber nicht ab, denn der Bundesrat stützt sich dabei auf eine andere rechtliche Grundlage, die nicht zur Diskussion steht: das Epidemiengesetz. Markus Schäfer, Staatsrechtler an der Uni Basel, sagt: «Das Zertifikat betrifft lediglich den fälschungssicheren Nachweis der Impfung, aber sagt nichts darüber aus, wo es zur Anwendung kommt.»
Und wenn das Volk das Zertifikat im Covid-Gesetz ablehnt?
Dürfte der Bundesrat immer noch zwischen Geimpften und Ungeimpften unterscheiden auf der Grundlage des Epidemiengesetzes? «Wenn das Zertifikat wegfällt, bleiben die Massnahmen. Sie unterscheiden dann aber nicht mehr danach, ob jemand geimpft ist oder nicht», sagt Schäfer. «Das bedeutet, dass die Massnahmen unter Umständen strenger sein müssen, weil man nicht mehr nur jenen den Zugang gewährleisten kann, die geimpft sind oder die getestet sind.»
Anders beurteilt dies Felix Uhlmann. Er ist Staatsrechtler an der Uni Zürich. Er sagt, der Bundesrat müsse auch künftig zwischen Geimpften und Ungeimpften unterscheiden können und argumentiert grundsätzlich: «Er darf nicht sozusagen Zertifikat II durch die Hintertüre einführen. Doch er muss differenzieren können in der Frage, wer geimpft ist und wer nicht.»
Auch Uhlmann weiss, dass es bei einem Nein zum Zertifikat schwierig würde, weiterhin zwischen Geimpften und Ungeimpften zu unterscheiden. Trotzdem bleibt er bei seiner Einschätzung: «Ich denke, es kann nicht sein, dass mit dem Wegfall des Zertifikats die Frage, wer geimpft ist oder nicht, keine Rolle spielen kann.»
Beim Zertifikat kommen die Konflikte und Widersprüche des Corona-Managements exemplarisch zum Ausdruck. Bis hin zur Pointe, dass bei einem Nein dazu nicht klar ist, was das für Geimpfte und Ungeimpfte genau bedeuten würde.