Die Corona-Zahlen steigen wieder, die fünfte Welle rollt an. Was die Pandemie für den Spitalbetrieb bedeutet, hat die «Rundschau» die letzten Wochen recherchiert. Wir sprachen im Vertrauen mit mehr als 20 Pflegenden, Sanitäterinnen und Ärzten in acht Deutschschweizer Spitälern.
In E-Mails aus früheren Corona-Wellen wird die Realität ungeschönt sichtbar: «Auch wenn es uns gegen den Strich geht, schlecht gepflegte Patienten abzugeben – es geht aktuell nur noch darum, dass möglichst viele Menschen überleben», weist die Leitung die Pflegenden an. In einem anderen Spital geht man noch weiter: Wegen fehlendem Personal sollen die Pflegenden alle «Aufgaben reduzieren, welche den Patienten kurzfristig nicht gefährden».
Fehlende Kontrollen, gefährliche Fehler
Das sei ein Betrieb «wie im Kriegsgebiet», erzählt eine Pflegende während der vierten Welle. Die Spitäler hätten zu wenig Personal und weil Corona Isolationen nötig mache, sei das schnelle Wechseln von einer Station auf die andere unmöglich. Ein Beispiel: In einer Nacht seien alle zusammengekommen, um eine Covidpatientin zu drehen – in voller Schutzkleidung. Genau in dem Moment sei bei einem Beatmungsgerät ein Alarm losgegangen: «Du hörst, es alarmiert irgendwo. Und niemand ist da. Niemand guckt nach den anderen Patienten. Wenn jemand gestorben wäre: Ich hätte es nicht halten können.»
Pflegende berichten, dass sie Kontrollen weglassen müssten. So werde das 4-Augen-Prinzip oft missachtet – wegen Zeitdruck oder weil keine zweite Person anwesend sei, die über die nötige Ausbildung verfüge. Und sie erzählen von Fehlern: Ein Patient erhielt Blutverdünner statt Schmerzmittel, bei einem anderen merkte während Stunden niemand, dass der Sauerstoff ausgegangen war.
Die Überlastung mache das Personal krank, weshalb noch mehr Personal fehle und die übrigen noch mehr arbeiten müssten. Auf dem Höhepunkt der vierten Welle wurden Betten geschlossen, auch Intensivbetten. Der «Rundschau» liegen Screenshots vom Planungssystem eines grossen Regionalspitals vor. Die Fotos dokumentieren die Schliessung von 13 Betten – inklusive Begründung: «Fehlendes Personal».
Abstimmung während Corona
In dieser Situation wird über die Pflege-Initiative abgestimmt. Für die Initiantinnen steht fest: Klatschen reicht nicht mehr. «Damit wir das Problem in der Pflege lösen können, braucht es bessere Arbeitsbedingungen und genug Pflegende auf allen Schichten. Nur so können wir die Pflegequalität garantieren und schauen, dass die Menschen, die ausgebildet sind, im Beruf bleiben», so die Geschäftsführerin des Verbandes der Pflegenden, Yvonne Ribi.
Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative zwar ab – den Handlungsbedarf bestreitet aber kaum jemand. Ruth Humbel, Präsidentin der Gesundheitskommission des Nationalrats, hat einen Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe ausgehandelt. Er sieht eine Ausbildungsoffensive vor. «Wenn wir mehr in die Ausbildung investieren, wenn mehr Pflegepersonen im Alltag arbeiten, dann gibt es eine Entlastung.» Der Gegenvorschlag sei schneller umsetzbar als die Initiative.
Pflege-Initiative oder indirekter Gegenvorschlag: Eine der Lösungen kommt bestimmt. Entschieden wird am 28. November.