Fast fünf Jahre war der britisch-iranische Doppelbürger Anoosheh Ashoori im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Das Gefängnis steht für den Terror des iranischen Regimes. Hier starben Menschen durch Folter oder Vernachlässigung. Hier sitzen Regimegegner und politische Gefangene ein, darunter zahlreiche Frauen und Männer, die seit dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini auf die Strasse gehen.
Am 15. Oktober 2022 brach in einem der Gefängnistrakte unter ungeklärten Umständen ein Feuer aus. Anoosheh Ashoori zeigt sich besorgt.
SRF News: Anoosheh Ashoori, Sie waren fast fünf Jahre lang im Evin-Gefängnis inhaftiert. Um bei Verstand zu bleiben, wie Sie sagen, haben die Inhaftierten sich gegenseitig unterrichtet. Man nennt das Gefängnis auch «Evin Universität», wie muss man sich das vorstellen?
Wenn du keinen Plan hast, wirst du verrückt. Ich schlug vor, eine Lyrikgruppe zu gründen, und es entstand eine Schreibgruppe. Die meisten Insassen sind hochgebildet.
Wenn du keinen Plan hast, wirst du verrückt. Ich schlug vor, eine Lyrikgruppe zu gründen.
Wir hatten etwa einen Professor für Wirtschaftswissenschaften, der anfing, uns Makroökonomie und Betriebswirtschaftslehre zu unterrichten. Und wir hatten einen Arzt, der uns die Grundlagen der Biologie beibrachte.
Die Menschen verändern sich stark im Gefängnis. Sie sagen, viele sahen aus wie Zombies.
Leider schafften es manche nicht, mit der Situation zurechtzukommen. Die wurden dann mit Nervenzusammenbrüchen in psychiatrische Kliniken gebracht. In diesen Spitälern werden sie aber nicht behandelt, sondern Elektroschocks unterzogen, damit sie bei ihrer Rückkehr keine Probleme mehr machen.
Der Trakt, in dem wir waren, der berüchtigte Trakt Nummer 12, war ein Kellerverlies mit Zimmern ohne Fenster und ohne Sonnenlicht. In vier Zimmern waren rund 65 von uns. Wir mussten lernen, miteinander zu leben.
Wurde im Gefängnis auch gefoltert?
Physische Folter habe ich nicht gesehen, aber die braucht es auch nicht. Die psychische Folter ist viel effektiver und ein gutes Werkzeug, Menschen dazu zu bringen, sich selbst Verletzungen zuzufügen. Ich selbst habe dreimal versucht, mir das Leben zu nehmen, als ich im Verhörzentrum in Einzelhaft sass. Sie brachten mich zu einem Hauptvernehmungsbeamten. Er sagte zu mir: «Vom Säugling bis zu einer 99 Jahre alten Frau kenne ich keine Gnade.»
Elika Ashoori, Sie kämpfen für die Menschen in Iran und unterstützen die Proteste von Europa aus. Sind Sie noch schockiert über die Gewalt des Regimes, auch wenn Sie wissen, was mit ihrem Vater passiert ist?
Als wir uns für die Freilassung meines Vaters aus Evin eingesetzt haben, gab es selbst in der iranischen Gemeinschaft viele Zweifel und Gegenreaktionen. Niemand werde doch ohne Grund inhaftiert, hiess es.
Je mehr aufgedeckt wird, desto mehr sehen die Menschen, wie barbarisch diese Regierung ist.
Aber je mehr aufgedeckt wird, desto mehr sehen die Menschen, wie barbarisch diese Regierung ist und wie brutal sie mit den Menschen umgeht. Wenn man sich gegen diese Unterdrückung wehrt, dann wird man inhaftiert und zum Schweigen gebracht.
Anoosheh Ashoori, haben Sie die Hoffnung, dass sich jetzt etwas verändert?
Ich hoffe es. Und es wäre sehr hilfreich, wenn die zivilisierte Welt ihre Verbindungen zu diesem Regime abbrechen würde. Ich weiss, wir haben eine Energiekrise. Der Krieg in der Ukraine übt grossen Druck auf Europa und Grossbritannien aus.
Aber werden Europa und Grossbritannien die Augen vor dem Blut verschliessen für die Energie, die sie vom Iran brauchen?
Aber werden diese Länder die Augen vor dem Blut verschliessen für die Energie, die sie vom Iran brauchen? Oder wird sich die Menschlichkeit durchsetzen und werden sie sich entscheiden, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen?
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.