Letzte Woche wurde der italienische Rechtsextremist Marco T. in erster Instanz zu 30 Jahren Haft für das Massaker in der Stadt Brescia in der italienischen Region Lombardei am 28. Mai 1974 verurteilt. T. soll die Bombe während einer Gewerkschaftskundgebung auf der Piazza della Loggia platziert haben. Die Explosion forderte acht Todesopfer. Der Terrorist erschien nie vor Gericht, um sich zu verteidigen. Und: Nach der Verurteilung wird er wohl nicht ins Gefängnis gehen.
Heute ist Marco T. Schweizer Bürger und lebt als Rentner im bündnerischen Landquart. Er hat nie mit den italienischen Ermittlern kooperiert, nicht einmal, als diese 2014 nach Bern kamen, um ihn zu befragen: Er machte von seinem Recht zu schweigen Gebrauch.
T. war als Minderjähriger 1974 in der neofaschistischen Terrororganisation Ordine Nuovo aktiv. Er wurde wegen Neugründung der faschistischen Partei zusammen mit 118 anderen angeklagt und aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der Richter, der sie angeklagt hatte, wird wenige Monate später von einem Extremisten erschossen.
Flucht in die Schweiz
Anfang der 80er-Jahre flüchtet T. in den Kanton Schaffhausen. Er heiratet und wird Schweizer Bürger, nimmt den Nachnamen seiner Frau an. «Er tat es, um Arbeit zu finden», sagte seine Frau einige Jahre später bei einer Befragung. Heute gibt sie keine weitere Erklärung ab. Ein früherer Freund erinnert sich: «Er hat praktisch nie gearbeitet, er war immer von Sozialhilfe abhängig. Es wirkte, als würde er sich verstecken, er war paranoid.»
1989 dringt die Schweizer Polizei auf italienisches Rechtshilfeersuchen in sein Haus ein. Sie verhaften ihn wegen einiger Brandanschläge, beschlagnahmen neonazistische Propaganda. Er kommt in Italien vor Gericht und wird freigesprochen.
Überführt auf Fotos
Die Demonstration in Brescia, bei der die Bombe explodierte, war ein Zeichen gegen die neofaschistische Gewalt, die in den Wochen zuvor die Stadt in Chaos gestürzt hatte. Die Beweise gegen T., die vor Gericht vorgelegt wurden, sind erdrückend.
Darunter auch die Aussage von Gianpaolo Stimamiglio, einem ehemaligen Ordine-Nuovo-Mitglied und Kronzeugen, der T. in den 80er-Jahren im Urlaub in Italien trifft. «Er sagte mir stolz, dass er an jenem Tag auf der Piazza della Loggia war», berichtet dieser. Die Ermittler durchforsten alle Fotos und finden T. in der Menge: der entscheidende Beweis.
«Für uns ist die Straftat verjährt», antwortet das Bundesamt für Justiz auf die Anfragen der italienischen Richter. Selbst im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung würde T. nicht ausgeliefert werden: Als Schweizer Bürger erlaubt dies das Gesetz nicht.
«Wir können doch nicht behaupten, dass die Schweiz einen Terroristen schützt!», sagt Ständerat Carlo Sommaruga (SP). «In Wirklichkeit haben wir es mit einer Person zu tun, die unser System ausgenutzt hat, um sich der italienischen Justiz zu entziehen. Er hat auf Kosten der Steuerzahler gelebt, ohne zu arbeiten, und war immer von der Sozialhilfe abhängig: Es gibt keinen Grund, warum er Schweizer bleiben sollte.» Sommaruga hat daher eine Anfrage an den Bundesrat gestellt, um T. die Einbürgerung zu entziehen.
In der Zwischenzeit bewegt sich T. ungestört durch die Strassen von Landquart. Die Gemeinde hat beschlossen, sich dazu nicht zu äussern.