Im Vordergrund geht es bei den derzeitigen Unruhen in Neukaledonien um die Wahlrechtsreform. Sie sollte später hinzugezogenen Bewohnern das Wahlrecht und somit mehr politischen Einfluss einräumen. Die indigene Bevölkerung Neukaledoniens befürchtete, dadurch die Kontrolle über ihre Insel zu verlieren.
Doch auch der Mineralstoff Nickel spielt bei den Ausschreitungen eine wichtige Rolle. Neukaledonien produziert 8 Prozent des weltweit verarbeiteten Nickels. Das Mineral ist sehr gefragt für die Herstellung von Batterien für Elektroautos.
Für die Wirtschaft Neukaledoniens ist Nickel von zentraler Bedeutung. Auf den Sektor entfallen 90 Prozent der Ausfuhren und ein Viertel der Arbeitsplätze. Darum hat der Rückgang der Weltmarktpreise Neukaledonien auch hart getroffen.
Glencore wirft das Handtuch
Der Grund für diesen Einbruch ist die Überproduktion Indonesiens, die die Preise drückt, indem es den Weltmarkt mit Nickel überschwemmt. Thibault Michel, Forscher am Französischen Institut für Internationale Beziehungen, erklärt in der Zeitung «Le Monde», dass Indonesien so ein Monopol auf die Produktion des Minerals erlangen will.
Erste Konsequenzen sind, dass beispielsweise Glencore kürzlich bekannt gab, sich von einer Mine in Neukaledonien zu trennen. Der Schweizer Handelsriese erklärte, dass er trotz Milliardeninvestitionen keinen Gewinn mehr erwirtschaftet habe.
Wirtschaftliche und soziale Krise
Dies ist nur ein Beispiel für die Krise, die Neukaledonien bereits vor den aktuellen Unruhen erschütterte. «Wir befürchten schon seit einigen Wochen, dass sich die Situation ändern könnte. Denn zusätzlich zur politischen Krise, die seit dem dritten Referendum über die Selbstbestimmung 2021 andauert, gab es in den letzten Wochen mit der Krise der Nickelindustrie eine sehr ernste Wirtschaftskrise», analysierte Sarah Mohamed-Gaillard, Historikerin mit Spezialisierung auf politische Fragen in Neukaledonien, gegenüber RTS.
Eine wichtige Quelle für die Unabhängigkeitsbewegung
Nickel ist ein wichtiger Rohstoff für die Unabhängigkeitsbefürworterinnen und -befürworter. Mit dem Abkommen von 1998, das die Autonomie Neukaledoniens hätte stärken sollen, wurde die Verantwortung für den Nickelabbau von Paris auf die lokale Regierung übertragen. Daraus hat die Unabhängigkeitsbewegung die «Nickel-Doktrin» entwickelt, um das Roherz direkt in Neukaledonien zu verarbeiten und so eine höhere Wertschöpfung zu erzielen.
Doch die Nickelindustrie in Neukaledonien kann immer weniger mit den Preisen aus Indonesien mithalten. Hinzu kommen die steigenden Energiepreise, was die energieintensive Nickelindustrie besonders trifft.
Vor diesem Hintergrund ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bereit, beträchtliche Finanzhilfen zu gewähren, sofern sich die Industrie bereit erklärt, ihre «Nickel-Doktrin» zu reformieren, um sie wettbewerbsfähiger zu machen. Dies würde bedeuten, dass die finanziellen Vorteile und die qualifizierten Arbeitsplätze im Zusammenhang mit der Erzverarbeitung verschwinden würden.
Diese als «Nickelpakt» bezeichnete Verpflichtung von Paris wird von den Unabhängigkeitsbefürwortern als «Kolonialpakt» bezeichnet. Er wurde nur wenige Wochen vor Beginn der Unruhen ausgehandelt.