Die Stadt Lwiw im Westen der Ukraine liegt zwar entfernt von der Frontlinie im Osten. Sie blieb aber von der russischen Invasion nicht verschont. Zu den spürbarsten Veränderungen gehört das Bevölkerungswachstum: Vor dem Krieg lebten 783’000 Menschen in der Stadt, heute sind es rund 933’000 – Tendenz steigend. Diese neuen Einwohnerinnen und Einwohner – darunter viele Kriegsverletzte – belasten die Infrastruktur und den öffentlichen Nahverkehr der Stadt.
«Jeden Tag kommen mehr Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen an», sagt Roman Mulyar, Chefingenieur bei Lvivelectrotrans (LET), dem Betreiber der Trams und Trolleybusse in Lwiw. «Sie haben Schwierigkeiten, in die hochflurigen Trams einzusteigen.» Um dieses Problem zu lösen, wandte sich die Ukraine an die Schweiz, die im Rahmen ihrer Auslandhilfe nachhaltige Stadtentwicklungsprojekte in der Ukraine finanziert.
Für Lwiw hat die Schweiz elf ausrangierte Niederflurtrams aus Bern gekauft, die für Menschen im Rollstuhl und körperlich Beeinträchtigte besser zugänglich sind. Die Berner Trams erfüllen einen dringenden Bedarf der Stadt: Sie sollen auf einer neuen, verlängerten Linie das kürzlich eröffnete nationale Rehabilitationszentrum «Unbroken» anfahren, in dem jährlich bis zu 10’000 Zivilpersonen und Soldaten behandelt werden.
Seco übernimmt die Kosten
Im Rahmen der Spende finanziert das Seco eine vierwöchige Schulung des ukrainischen Personals aus Lwiw. Zudem deckt es die Kosten für Ersatzteile und die Unterstützung bei technischen Anpassungen, damit die Trams die lokalen Zulassungsanforderungen erfüllen, sowie den Transport der Fahrzeuge in die Ukraine.
«Unseres Wissens ist die Schweiz das einzige Land, das bisher solch umfangreiche Projekte für den Transfer von gebrauchten Trams finanziert hat», sagt Marc-Alexandre Graf, Programmleiter beim Seco. Das Seco übernimmt die gesamten Kosten für die Spende in Lwiw in Höhe von 1,8 Millionen Franken.
Grundsätzlich seien Transfers dorthin möglich, wo eine ähnliche Traminfrastruktur vorhanden ist und die Fahrzeuge über eine relativ kurze Distanz transportiert werden können, sagt Graf. In den letzten 20 Jahren hat die Schweiz Trams nach Rumänien, Serbien und in die Ukraine geschickt. Doch die russische Invasion verzögerte den Umzug. «Das Projekt lag mehrere Monate auf Eis, weil wir nicht wussten, ob wir die Trams so transportieren können, dass die Sicherheit des Personals gewährleistet ist», sagt Graf.
Eine erste Überführung fand schliesslich im Jahr 2023 statt. Insgesamt 35 Trams erreichten die ukrainisch-polnische Grenze auf der Schiene und wurden für die letzte Etappe ihrer zweiwöchigen Reise nach Winnyzja auf Tieflader verladen. Andere Reisepläne mussten dagegen abgesagt werden, sagt Gwendoline Levasseur von den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ).
Statt dass die Schweizer Projektteams die Zielstädte besuchten, um eine Verbindung herzustellen und das lokale Personal zu schulen – so wie damals, als Zürich in den Jahren 2008-2012 86 Trams für Winnyzja spendete –, kamen die ukrainischen Fachleute in die Schweiz. Die Konfliktsituation machte es für die Schweizer Seite zu riskant, in die Ukraine zu reisen. In Bern lernten LET-Chefingenieur Roman Mulyar und drei seiner Kollegen vier Wochen lang, wie man die «Vevey-Trams» fährt, wartet und repariert.