Ein Milliardär leistete sich letzte Woche den ersten Weltraumspaziergang der Geschichte. Andere Superreiche lassen sich auf die höchsten Gipfel des Planeten oder in die tiefsten Abgründe bringen. Früher waren es Wissenschaftler, die in gefährlichen Expeditionen solche Grenzen überschritten. Heute tun es Milliardäre als reiner Selbstzweck. Wie denkt Markus Krienke darüber? Er ist Philosophieprofessor an der Theologischen Fakultät in Lugano.
RSI: Ist der «Weltraumspaziergang» ein Zeichen von Narzissmus?
Markus Krienke: Ja, sicher. Dass sich Menschen über das hinausbegeben, was sie als ihre eigenen Grenzen wahrnehmen, ist an sich nichts Neues. Heute wird aber alles mehr auf das eigene Ego ausgerichtet, auf die eigene Liste von «Medaillen», von Dingen, «die ich erreicht habe». Wir sind nicht mehr bereit, uns in einen Kontext zu stellen, in dem diese Dimensionen auch im Dienste einer Gesellschaft stehen. Und es werden riesige Summen eingesetzt, um diese Höchstleistungen zu vollbringen, Summen, die besser investiert werden könnten.
In all diesen Grenzerfahrungen gibt es auch Formen der Substitution von Religion.
Setzen diese superreichen Menschen ihr Leben aufs Spiel?
Die Beweggründe mögen individuell sehr unterschiedlich sein, aber ich würde nicht ausschliessen, dass die Vorstellung, dem Tod ins Auge zu sehen, zur Intensität der Erfahrung beiträgt. Jede extreme Erfahrung bedeutet, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen; deshalb hat sie einen gewissen religiösen Charakter. In all diesen Grenzerfahrungen gibt es auch Formen der Substitution von Religion selbst, das steht ausser Zweifel.
Es scheint so, als sagten sich diese Leute: Heute gebe ich meine Milliarden aus, um ins All zu fliegen, morgen – wer weiss – fahre ich in die Tiefen des Ozeans, und übermorgen besteige ich vielleicht den Mount Everest …
Auf jeden Fall. Geld hat in gewisser Weise diese Funktion, lange und anstrengende Wege zu ersetzen. All das, was ein extrem selbstbezogenes Individuum heute nicht mehr durchmachen will. Es ist nicht so, dass man in einem bestimmten Alter, wenn man reich geworden ist, das Rad zurückdrehen und eine Karriere als Astronaut machen kann. Geld ersetzt, wie wir in diesem Beispiel sehen, einen Prozess oder einen Weg.
Sie signalisieren damit, wie wir oft die wirklichen Fragen aus den Augen verloren haben.
Doch es gibt einen Unterschied zwischen Karrierewegen, die nicht nur Zeit brauchen, sondern auch Engagement, und Wegen, die durch Geld verkürzt und ersetzt werden. Deshalb werden diejenigen, die ihre wirtschaftlichen Ressourcen nur in diese Richtung investieren, in die Verwirklichung eines ganz individuellen Wunsches, mit diesem Geld kaum Ergebnisse produzieren, die am Ende auch allen zugutekommen können.
Welche Botschaft vermitteln die von diesen Superreichen vollbrachten Leistungen?
Wenn Individuen sich legitimiert fühlen, diese Erfahrungen zu machen, dann signalisieren sie damit, wie wir heute über unsere Freiheiten denken und wie wir oft die wirklichen Fragen aus den Augen verloren haben, die die Grundlage dieser Freiheiten bilden.
Dies soll keine Kritik an der Tatsache sein, dass es Superreiche gibt. Es gibt viele Superreiche, die sich für ihren Reichtum verantwortlich fühlen und auch in gesellschaftlich und moralisch sinnvolle Projekte investieren. Manchmal tragen auch diejenigen, die mit einem Teil ihres Reichtums solch extremen Erfahrungen machen, mit einem anderen Teil einen Beitrag zum Gemeinwohl bei.
Das Gespräch führte Massimiliano Angeli von RSI.