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Ehud Olmert vor einer Menschenmenge, die Israel-Fahnen schwingt. Er selbst streckt auch eine in die Höhe
Legende: Ex-Premier Ehud Olmert im letzten Sommer an einer Demonstration gegen die Jusitzreform der Regierung Netanjahu. Keystone/Ohad Zwigenberg

Ex-Premier von Israel «Die laufende Militäroperation in Rafah ist nutzlos»

Der frühere israelische Premier Ehud Olmert fordert den vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen und bezeichnet die laufende Militäroperation in Rafah als nutzlos. Er wirft der Regierung von Benjamin Netanjahu vor, für die internationale Isolation Israels verantwortlich zu sein.

Im Interview mit dem Tessiner Fernsehen RSI fordert Ehud Olmert einen vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen, bezeichnet die laufende Operation in Rafah als nutzlos und prangert die internationale Isolation Israels aufgrund der Strategielosigkeit des von Netanjahu geführten Kriegskabinetts an.

Ehud Olmert

Ehemaliger Ministerpräsident Israels

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Der 78-jährige frühere israelische Premier Ehud Olmert hat als Regierungschef zwei Kriege geführt – 2006 gegen die Hisbollah im Libanon und 2009 gegen die Hamas. Er sass 16 Monate im Gefängnis, weil er wegen Bestechung und Behinderung der Justiz verurteilt worden war. Er sieht sich als enger Freund der USA, wovon die beiden riesigen Fotos mit George W. Bush zeugen, die hinter dem Schreibtisch in seinem Büro in Tel Aviv an der Wand hängen.

RSI: Warum macht die Regierung Netanjahu die Freilassung der Geiseln nicht zu einer Priorität?

Ehud Olmert: Es gibt zwei Möglichkeiten: Die erste besteht darin, den Krieg zu beenden und sich zu einem vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen zu verpflichten. Dies müsste auf eine überprüfbare Weise passieren, um die Hamas zur Freilassung der Geiseln zu bewegen.

Die Alternative ist die Fortsetzung des Krieges. Ihn jetzt zu beenden, würde für Netanjahu das sofortige Ende seiner Mehrheit im Parlament bedeuten. Und es würde von seiner Basis als Versagen empfunden werden. Im Moment kämpft Netanjahu nicht für die Geiseln, nicht für die Sicherheit des Landes und auch nicht für die Vernichtung der Terroristen. Netanjahu kämpft nur für sein persönliches politisches Überleben.

Sie begannen 2009 als Premier einen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen. Aber er hat die radikalislamische Bewegung nicht beseitigt. Warum sollte es jetzt funktionieren?

2009 habe ich der Hamas in Gaza einen schmerzhaften Schlag versetzt. Aber dann habe ich eine diplomatische Initiative angekündigt, mit einem Waffenstillstand. Die europäischen Staats- und Regierungschefs kamen nach Israel, um ihre Unterstützung zu bekunden. Dies war Teil einer politischen Strategie, die sie unterstützen konnten. Heute fehlt eine solche politische Strategie.

Wie stark wirkt sich dies auf die Verbündeten aus? Auf die USA, aber nicht nur?

Schauen Sie, falls es zum «totalen Sieg» kommt, mit der vollständigen Zerstörung der Hamas – und dann? Es gibt immer noch Millionen von Palästinenserinnen und Palästinenser. Wie wird die Strategie Israels aussehen? Werden wir die Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens fortsetzen? Werden wir im Gazastreifen für die Sicherheit verantwortlich bleiben?

Wir zahlen in der öffentlichen Meinung einen sehr hohen Preis, nämlich die Wahrnehmung Israels als brutale Macht.

Das ist lächerlich. Es dient weder den Interessen Israels noch der öffentlichen Meinung unserer besten Freunde in Europa und den USA. Sie sehen den Nutzen dieser Militäroperation nicht. Deshalb glaube ich, dass wir in der öffentlichen Meinung einen sehr hohen Preis zahlen, nämlich die Wahrnehmung Israels als brutale Macht.

Glauben Sie wirklich an einen «totalen Sieg» gegen die Hamas, wie Netanjahu behauptet?

Ein «totaler Sieg», wie es der Premierminister nannte, ist unwahrscheinlich. Wir haben gesehen, was passiert: Israel hat sich aus dem nördlichen Gazastreifen zurückgezogen, und die Hamas ist sofort wieder aufgetaucht, weil es an einer Strategie fehlt, was nach der Militäroperation zu tun ist. Und all dies führt zu einem Misstrauen, das sich von Präsident Biden nach Europa und allen anderen ausbreitet. Dies ist die grösste strategische Bedrohung für Israels nationale Interessen. Die unvermeidliche Schlussfolgerung lautet: Zwischen dem Überleben seiner Regierung und dem des Staates Israel, scheint Netanjahu sein politisches Interesse vorzuziehen.

Das Gespräch führte Emiliano Bos/RSI.

Blick über die Sprachgrenzen

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Dieser Artikel erschien im Original beim Tessiner Fernsehen RSI auf Italienisch und wurde durch die «dialog»-Redaktion übersetzt. Den ursprünglichen Artikel können Sie auf RSI nachlesen.

«dialog» ist ein Angebot der SRG, das mit Debatten und dem Austausch von Inhalten Brücken baut zwischen Menschen in allen Sprachregionen sowie Schweizerinnen und Schweizern im Ausland.

RSI Telegiornale, 15.5.24, 20:00 Uhr

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