Am frühen Montagnachmittag ist Akram Al Sorani noch online. Er reagiert auf die Interviewanfrage aus der Schweiz mit einem WhatsApp, aber er ist unsicher, ob er das Interview noch machen oder lieber flüchten soll. Nur, wohin? Eine Warnung vor Kampfflugzeugen unterbricht seine Nachricht, dann ein paar Sekunden Funkstille, dann eine viersekündige Nachricht.
Eine App dient den Menschen in Gaza, die überhaupt noch Internet haben, als Bombenalarm. Akram Al Soranis Nachricht bricht ab. Wenig später nimmt er jedoch das Telefon ab und erklärt, dass er aus dem Zeltlager in Rafah weg wolle. Gleichzeitig zögert er: vielleicht habe er auf der Flucht oder am nächsten Ort keine Internetverbindung mehr und dann sei er von seinen Freunden, seinen Eltern, welche die Flucht aus Gaza geschafft hätten, und von der Welt abgeschnitten.
Vielleicht hören Sie morgen in den Nachrichten, dass ich tot bin.
«Ich rede mit Ihnen, während rundherum bombardiert wird. Und vielleicht hören Sie morgen dann in den Nachrichten, dass ich tot bin – hier kann jede Bewegung, egal in welche Richtung, den Tod bedeuten – denn einen sicheren Ort gibt es im Gazastreifen nicht», sagt Akram Al Sorani.
Geschichte eines Kriegsvertriebenen
Seit dem Beginn des Krieges publiziert der Schriftsteller jeden Tag seine Beobachtungen und Erlebnisse auf den sozialen Medien: Er dokumentiert die Geschichte eines Kriegsvertriebenen, der seit bald 200 Tagen auf der Flucht ist, respektive in einem Zeltlager lebt. Am Montag, plötzlich, etwas Hoffnung: Die Hamas stimmte gestern einem Waffenruhe-Abkommen zu. «Gestern Abend hatten wir so viel Hoffnung!»
«Heute Morgen dann der Schock, als Israel den Grenzübergang zu Ägypten besetzte. Die Menschen wurden nach einem Moment der Freude regelrecht von der Realität erschlagen», sagt Akram Al Sorani.
Selbst wenn noch ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas zustande käme: Wir in Gaza haben alles verloren.
Nun hätten alle wieder Angst, weil die israelische Armee zur Evakuierung aufgefordert habe und in den umliegenden Quartieren heftig bombardiere. Ihm seien die Tränen gekommen, als er gesehen habe, wie die Leute wieder Hab und Gut zusammenpackten und erneut flüchteten, ohne zu wissen, wohin genau. «Und selbst wenn noch ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas zustande käme: Wir in Gaza haben alles verloren. Und auch wenn wir ausreisen könnten, wir reisen ins Ungewisse», sagt der Schriftsteller.
Wie viele Einwohner des Gazastreifens trieb er mit Crowdfunding Geld auf, um vielleicht nach Ägypten ausreisen zu können. Morgen hätte er sich an der Grenze zu Rafah einfinden sollen, mit seiner Familie, sagt er. Doch nun ist der Grenzübergang geschlossen, er wieder auf der Flucht. Die Menschen in Gaza seien so erschöpft vom Krieg.
Keine Lebensmittellieferungen mehr
«Vorgestern hatten wir kein Wasser. Wir mussten abwägen, ob wir zur Toilette gehen oder nicht, oder gar nichts essen, damit wir nicht zur Toilette müssen: wenn hundert Menschen ein WC benutzen, überlegst du dir das mit der Sauberkeit, wegen Krankheiten. Das Wasser, das wir trinken, ist verschmutzt. Wir essen alles, was irgendwie essbar ist, kochen alles, was man irgendwie kochen kann. Uns fehlt es am Grundlegendsten», sagt Akram Al Sorani.
Seit dem Angriff Israels auf Rafah gelangen vorläufig keine Lebensmittel mehr nach Rafah. Bis zum Abend war der Schriftsteller noch online. Er weiss noch immer nicht, ob er nochmals flüchtet oder einfach wartet, was jetzt passiert.