Darum geht es: Im Süden des Gazastreifens kommt es zu Bewegung unter den geflüchteten Palästinensern. Seit Montagmorgen werden die Menschen im Gebiet des östlichen Rafah von den Israelis per SMS, abgeworfenen Flugblättern und via arabische Medien aufgefordert, die Stadt in Richtung Westen und Nordwesten zu verlassen. Die Menschen sollen sich in nahe gelegene Zeltstädte begeben. Laut der israelischen Armee sind davon 100'000 Menschen betroffen. Arabische Medien ihrerseits schätzen die Zahl der Betroffenen aufgrund der Zelte, die Israel letzte Woche in die Region gebracht hat, auf bis zu 500'000.
Schwierige Lage: Laut dem Journalisten Safwat Kahlout, dessen Brüder und Vater in Rafah Zuflucht gesucht haben, breitet sich Panik unter der Bevölkerung in Rafah aus. Dies vor allem unter älteren Menschen, die kaum gehen können, und unter jenen, die geschwächt sind vom Krieg und in den vergangenen Monaten schon mehrmals flüchten mussten. Kommt hinzu, dass Gebiete im Osten von Rafah bereits von Israel bombardiert würden, wie die Hamas der israelischen Armee vorwirft.
Mögliche Offensive naht: Die Evakuierungen werden von Beobachtern als mögliche Vorbereitung der seit Monaten von Israel angekündigten Grossoffensive in Rafah angesehen. In der Region auf israelischer Seite hat die Armee in den letzten Tagen jedenfalls Truppen zusammengezogen. Und Premier Netanjahu verspricht die Grossoffensive in Rafah schon seit Monaten. Ohne die Hamas in Rafah zu besiegen, seien israelische Soldaten vergeblich gestorben, nur in Rafah sei der totale Sieg über die Hamas möglich, sagte er etwa. Die Evakuierungen und der Zusammenzug der Armeekräfte könnte aber auch ein Druckmittel Israels sein, um die Hamas ohne Wenn und Aber zu einem Abkommen über eine Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln zu bewegen.
Die Knackpunkte: Sowohl Netanjahu als auch Hamas-Führer Yahya Sinwar haben ein zynisches Interesse daran, dass der Krieg weitergeht. Ihre Aussagen und Handlungen lassen das jedenfalls vermuten. So hat die Hamas am Sonntag den Grenzübergang Kerem Shalom ganz im Süden bei Rafah angegriffen und vier israelische Soldaten getötet. Und Netanjahu hat mitten in den mehrtägigen Verhandlungen herausposaunt, dass ein Abkommen mit der Hamas nicht das Ende des Krieges bedeuteten werde.
Weit und breit kein Plan: Weder Netanjahu noch Sinwar haben zudem einen realistischen Plan, wie es nach Kriegsende weitergehen könnte. Dass sich die israelische Politik und die Hamas darüber streiten, wie viele Geiseln im Gegenzug für palästinensische Gefangene freigelassen werden, oder ob ein Deal nun eine temporäre Waffenruhe oder ein Ende des Krieges bedeuten soll, sind eine Art Nebenschauplätze. Für die Hamas ist jeder Tag, an dem Israel die Hamas nicht besiegt, ein Sieg. Und Netanjahu weiss, dass er sich am Ende des Krieges wahrscheinlich wird Wahlen stellen müssen. Und da ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass er abgewählt wird.