Eine Wohnung im dritten Stock in einem der vielen Mehrfamilienhäuser aus Backstein, ausserhalb von Kairo. Hier hat Amal mit ihren zwei Töchtern und ihrem Sohn Zuflucht gefunden. Amal ist nicht ihr richtiger Name. Sie hat viel vom Krieg in Gaza zu erzählen, doch womit beginnen?
Vielleicht mit dem Anfang. Dem 7. Oktober: «Als ich von den Attacken der Hamas in Israel erfuhr, wusste ich gleich, dass das schlimm werden wird.» Amal war sich sicher, dass Israel ungleich härter zurückschlagen wird. Doch sie hatte damals noch keine Vorstellung davon, was folgen würde.
Monatelange Irrfahrt durch Gaza
Am Anfang wollte sie es nicht wahrhaben. Krieg, was bedeute das konkret für ihre Familie? Amal lebte damals mit ihrem Mann und den drei Kindern im Westen von Gaza -Stadt, nicht weit vom Al-Schifa-Spital entfernt, das heute zerstört ist. Sie arbeitete bei verschiedenen Hilfswerken.
Mitarbeiterinnen, die evakuiert wurden, warnten sie per Telefon: «Wenn du Gaza verlassen kannst, mache es, und zwar noch heute», hätten sie ihr gesagt. Es war der Beginn einer fast sechs Monate dauernden Irrfahrt durch Gaza nach Ägypten.
Im Vergleich zu vielen anderen hätten sie Glück gehabt, sagt Amal. Sie hatten Geld und ein Auto. Damit flohen sie nach Nuseirat, in der Mitte des Gazastreifens. Dann begann das Bombardement.
Alles zerstört, Menschen unter den Trümmern
«Manchmal dauerte es vier Sekunden, manchmal 30, bis wieder eine Rakete einschlug. Tag und Nacht», erzählt die junge Frau. «Die Nächte waren am schlimmsten. Es gab keinen Strom, keine verlässlichen Quellen, es war stockdunkel.» Das Ausmass der Zerstörung war erst am nächsten Morgen sichtbar.
Ganze Quartiere waren dem Erdboden gleich gemacht worden. Von den Gebäuden waren nur noch graue Ruinen übrig. Und unter den Trümmern waren Menschen begraben.
Auch Amal hat Familienmitglieder verloren. Eine Cousine, einen Onkel, eine Tante. Das war ein Zeichen für sie, im Dezember weiterzuziehen – Richtung Rafah. Dort sei es schwierig gewesen. Denn allein die Suche nach Wasser und Essen beanspruchte oft den ganzen Tag, so Amal.
Crowdfunding verhalf zum Geld für die Flucht
Immer wieder betont sie, wie privilegiert sie war. Sie und ihr Mann erhielten weiterhin ein Einkommen, nur so hätten sie die überhöhten Preise für Nahrungs- und Waschmittel bezahlen können. Doch auch sie erreichten ihre finanziellen Grenzen, als sie entschieden, aus Gaza auszureisen.
Wie viele andere sammelte Amals Familie über Crowdfunding-Webseiten Geld für die Flucht – eine Flucht, die erst ab Januar und nur mit hohen Schmiergeldern möglich war. Denn im Januar nahm eine ägyptische Reisefirma, namens Ya-Hala, ihr Geschäft mit Gaza wieder auf.
Ya-Hala koordinierte schon vor dem Krieg Ausreisen aus Gaza mit den ägyptischen und den israelischen Behörden und verlangte dafür 400 Dollar pro Person. Ein Preis, der nun, durch den Krieg, um über das Zehnfache anstieg. Für ihren Mann reichte das Geld nicht, er blieb in Gaza zurück.
Die Grenze zu überqueren, sei ein Kinderspiel gewesen. Sie hätten bloss zwei Stunden an der Grenze warten müssen, bis alle Papiere geprüft waren. Nicht einmal das Gepäck sei kontrolliert worden, sagt Amal.
In Kairo in Sicherheit
Im Bus, kurz vor der Abfahrt, vergewisserte sich lediglich ein ägyptischer Militärbeamter, ob sie über das Reisebüro Ya-Hala gebucht habe. Ein Beamter, der frage, ob man das Schmiergeld auch bezahlt habe – heute kann Amal über die Situation lachen.
Was ihr bleibt, ist die Gewissheit, dass sie und ihre Kinder nun in Ägypten in Sicherheit sind, und die Hoffnung, dass ihr Mann bald nachziehen werde. Doch für den Moment sitzen sie in Kairo fest.
Wie es weitergehen soll, weiss auch Amal nicht.