Israel hat den Grossteil seiner Truppen aus dem Gazastreifen abgezogen – genau ein halbes Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Der Druck aus den USA steigt, die Soldaten sind erschöpft. Gisela Dachs schätzt den Teilrückzug ein. Die freie Journalistin befindet sich in Tel Aviv.
SRF News: Wie sind die Reaktionen der Menschen auf diesen Rückzug aus Gaza?
Gisela Dachs: Im Augenblick ist man eher mit dem Iran beschäftigt. Es herrscht höchste Alarmbereitschaft. Man geht davon aus, dass es eher früher oder später eine massive Reaktion geben wird auf den Anschlag auf die iranische Botschaft in Syrien. So ist die Hamasfrage im Gazastreifen im Augenblick etwas untergeordnet.
Ist die Sorge vor Iran grösser als jene vor der Hamas?
In diesen Tagen in jedem Fall. Vor allem Israel kann nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen. Deshalb müssen sie sich beim Gazastreifen wirklich fragen: Was kann man im Gazastreifen noch erreichen? Wie weit lohnt es sich, die Soldaten weiter dort zu halten? Man hat sie vor allem auch nach Hause geschickt, um sich zu erholen.
Dreiviertel der Bodentruppen sind weg im Gazastreifen. Was kann die israelische Armee dort noch bewirken?
Nur noch eine Einheit ist vor Ort. Sie kontrolliert den Korridor, der den Gazastreifen in zwei Teile teilt, in Nord und Süd. Damit hat sie die Kontrolle über die Bewegung von eventuellen Hamaskämpfern. Der Generalstabschef Herzi Halevi sagt allerdings, ein Ende des Kriegs sei trotz des Teilabzugs noch lange nicht in Sicht.
Die Idee ist jetzt wohl eher, bei Bedarf punktuelle Operationen durchzuführen.
Denn im südlichen Küstengebiet hielten sich weiterhin hochrangige Funktionäre der Hamas versteckt, und man werde sie früher oder später erreichen. Der Druck wird wahrscheinlich aufrechterhalten. Aber im Augenblick sieht es eher nach Rückzug aus.
Ist dieser Rückzug der Anfang vom Ende der israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen?
Ja, das kann man so sehen. Die Idee ist jetzt wohl eher, dass bei Bedarf punktuelle Operationen durchzuführen sind, ohne dass Soldaten permanent vor Ort sind. Man geht dann rein, wenn es bestimmte Informationen gibt, um etwas zu tun. Zugleich heisst es aber auch, man ist raus gegangen, um sich auf eine weitere Operation in Rafah vorzubereiten. Das ist womöglich auch ein Weg, um den Druck auf die Hamas aufrechtzuerhalten. Sie hat immer noch über 100 Geiseln in ihrer Gewalt. Und trotz all ihrer Schwäche ist sie immer noch in der Lage, Raketen auf Israel abzuschiessen.
Es laufen neue Gespräche zwischen Israel und der Hamas, auch zu einem neuen möglichen Geiselabkommen. Netanjahu hat gesagt, er sei bereit für ein solches Abkommen. Sehen wir auch hier einen Strategiewechsel?
Die Geiselfamilien sind am Ende. Viele gehen mittlerweile gemeinsam mit einer neu aufgekommenen Protestbewegung gegen Netanjahu auf die Strasse. Es gibt seit heute Morgen wieder vorsichtigen Optimismus. Das muss allerdings noch nicht viel heissen. Es sieht aber so aus, als hätte Netanjahu den Verhandlungsführern vor Ort einen längeren Hebel bei den Verhandlungen zugestanden. Auch Amerika hat den Druck verstärkt auf beide Seiten, auf die Hamas und auf Israel. Viel hängt auch von der Hamas selber ab, ob sich der Hamas-Anführer Yahya Sinwar tatsächlich flexibler zeigt und ein Abkommen durchzieht. Das würde der Bevölkerung im Gazastreifen etwas Erleichterung bringen.
Das Gespräch führte Romana Kayser.