Der Angriff: Bei einem Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus sind am Montag zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der Revolutionsgarden (IRGC) getötet worden. Irans Aussenministerium machte umgehend den Erzfeind Israel dafür verantwortlich, sprach von einem Verstoss gegen Völkerrecht und drohte mit Vergeltung. Die US-Regierung teilte die Einschätzung zur Urheberschaft und betonte, nicht beteiligt gewesen zu sein. Israel kommentierte den Vorfall nicht. Jemand anders als Israel komme nicht in Frage, sagt auch Daniel Gerlach, Politikberater und Chefredaktor des Nahostmagazins «Zenith»: In Syrien greifen die Nachbarstaaten Türkei und Israel regelmässig nach eigenem Gutdünken ein. Das israelische Militär selbst definiert das betroffene Gelände in Damaskus nicht als Botschaftsgelände, sondern als Hauptquartier der iranischen Quds-Eliteeinheit.
Die Vergeltung: Die Gefahr einer Vergeltung durch Iran ist gemäss Gerlach gross, da sich das Land in Syrien selbst angegriffen sieht. Die Iraner müssten also reagieren. Das machen sie laut dem Experten zeitlich versetzt, vielleicht mit einer anderen Methode, aber mit einer gewissen Symmetrie. Gerlach geht davon aus, dass Teheran diplomatische Standorte Israels im Ausland ins Visier nehmen wird – wie etwa 1992 die israelische Botschaft in Argentinien, was Teheran nie zugab. Allerdings hätten die Iraner kein Interesse an einem regionalen Krieg.
Das Motiv: Der mutmasslich israelische Angriff in Damaskus verfolgte laut Gerlach mehrere Ziele: So konnte Israel mit einem Schlag hochrangige Revolutionsgardisten treffen, welche für die Koordination der schiitischen Milizengruppen im Nahen Osten zuständig sind. Für die unter Druck stehenden israelischen Geheimdienste sei das ein Erfolgserlebnis. Israel gehe zudem weiterhin davon aus, dass die Gefahr aus dem Norden nur mit einem Präventivkrieg eingegrenzt werden kann.
Die Provokation und die Folgen: Netanjahu muss sich laut Gerlach den Vorwurf gefallen lassen, er wolle vom Gaza-Krieg ablenken. Er nehme dafür auch eine regionale Eskalation in Kauf, solange die USA bereit seien, auf Seiten Israels in einen Krieg einzugreifen. Eine Risikoabwägung wie vor vier Jahren gebe es nicht mehr, als Israel – ebenfalls unter Netanjahu – allenfalls aus politischen Gründen auf Militärschläge verzichtete. Heute habe die israelische Führung vor dem Hintergrund des 7. Oktobers den Massstab verloren, was die arabischen Nachbarstaaten noch an Spannungspotenzial aushalten, sagt Gerlach.
Die Folgen für Iran und Israel: Die iranische Führung hat laut Gerlach vom Konzept der «Achse des Widerstands» – also vom Aufbau einer schiitischen Front von Iran über Irak, Syrien und Libanon gegen Israel – etwas Abstand genommen, weil es ihren Interessen nur teilweise dient. Zugleich ist das Regime immer auf die Stabilisierung der Macht im eigenen Land bedacht und bereit, dafür aussenpolitische Interessen zu opfern. Bei zu starker Provokation müsse die Führung aber reagieren, um für ihre Anhängerschaft glaubwürdig zu bleiben. Mit ihrem grossen Potenzial an Milizen und Raketen wären sie zwar nicht existenzbedrohend für Israel, könnten aber dessen Streitkräfte an die Belastungsgrenze führen. Dieses gefährliche Spiel suchten die Iraner zurzeit nicht, doch man habe das Gefühl, dass die israelische Seite das gerade provoziere, sagt Gerlach.