«Achse des Widerstands»: So nennt das iranische Regime das Universum der Milizen in verschiedenen arabischen Ländern, das es unterhält. Inzwischen reicht diese Achse von schiitischen Milizen in Irak und Syrien über die Huthi-Rebellen in Jemen bis zur Hisbollah in Libanon.
«Teheran spricht dabei von strategischer Vorwärtsverteidigung», sagt der Nahostexperte Joost Hiltermann. Das Argument ist, mit diesem Ring von Milizen verbündete Kräfte schon weit ausserhalb der eigenen Grenzen zu haben. Zum Beispiel im Falle eines israelischen Angriffs.
Iran hat keine amerikanischen Kampfflieger wie seine Rivalen in der Region. Teheran verlässt sich auf die abschreckende Kraft dieser Milizen, allen voran der kriegserprobten Hisbollah im Libanon mit ihren leistungsfähigen iranischen Raketen, welche inzwischen fast jeden Punkt in Israel erreichen könnten. Die Hamas in Gaza nimmt unter den Verbündeten Milizen Irans eine Sonderstellung ein. Dies als sunnitische Kraft in einem Universum von schiitischen Islamisten.
Sicher ist: Die Gewalteskalation und die schrecklichen Bilder aus Gaza bringen die israelfeindliche Regionalmacht und ihre Verbündeten in Argumentationsnot. Denn zur Propaganda dieser Achse des Widerstands gehört zentral, dass sie sich für die Entrechteten in der Region einsetze – gerade in Palästina.
Das schiitische Regime Irans versucht sich damit im arabischen Raum zusätzliche Legitimität zu verschaffen. Denn die schiitischen Milizen sind in ihren jeweiligen Ländern keineswegs unbestritten, sondern tief verstrickt in interne Kriege und Konflikte. Und sie sind dem Vorwurf ausgesetzt, sie seien ihrerseits Teil iranischen Grossmachtstrebens. Da macht sich der angebliche Einsatz für die Sache Palästinas gut.
Iran-treue Milizen halten sich (noch) zurück
Und jetzt, wo die Hamas tatsächlich den Krieg mit dem zionistischen Feind begonnen hat, fragen sich manche Anhänger dieser Iran-treuen Achse, was aus dem Versprechen geworden ist. Die Huthis schickten ein paar Drohnen. Die Hisbollah eröffnete im Norden Israels eine zweite Front. Aber es bleibt bis jetzt bei Scharmützeln.
Auch Israel hält sich bis jetzt zurück, sucht keine weiteren Fronten mit Iran und seinen Verbündeten. «Wenn man die Absichten der beiden Seiten anschaut, scheint das Eskalationsrisiko bis jetzt unter Kontrolle», sagt Hiltermann.
Auch Teheran versucht, zwar propagandistisch von der antiisraelischen Stimmung maximal zu profitieren, aber ohne dabei in einen offenen Krieg hineingezogen zu werden. So die verbreitete Analyse. Hiltermann teilt sie. Iran habe funktionierende Beziehungen mit den arabischen Golfstaaten. Diese möchte es nicht aufs Spiel setzen.
Extrem aufgeheizte Situation
Doch was ist, wenn die Hisbollah als wichtigster Verbündeter ernsthaft bedroht wird –und die Achse des Widerstands auseinanderzubrechen droht? Dann könnte sich das iranische Kalkül ändern. Schon jetzt droht Iran mit der Zerschlagung der Hamas einen Verbündeten im israelfeindlichen Ring zu verlieren. Und das Risiko von Fehlkalkulationen kommt immer dazu.
Was ist, wenn eine Rakete in einem dicht besiedelten Gebiet einschlägt und viele Menschen getötet werden – und sich die andere Seite zu einer massiven Vergeltung gezwungen glaubt? «Die Situation in der Region ist dermassen aufgeheizt, da kann selbst ein fehlgeleitetes Geschoss zur Eskalation führen», warnt Hiltermann.