Omri Schifroni ist mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern zu Besuch im Kibbuz Beeri am Rande des Gazastreifens, als die Hölle losbricht. «Wir wachten am frühen Morgen vom Geräusch lauter Explosionen auf», erinnert sich der 38-Jährige an das Massaker am 7. Oktober. «Es gab Raketenalarm und wir rannten in den Schutzraum.» Tausende Raketen feuerte die radikalislamische Hamas auf Israel ab. Für Schifroni und seine Familie waren es zwölf Stunden Angst und Schrecken, bis sie gerettet wurden und den Raum wieder verlassen konnten.
Sie schossen um sich, und zwei Kugeln durchschlugen die Tür des Schutzraumes.
Einen Monat nach dem Massaker sind noch nicht alle Opfer identifiziert. Was bisher bekannt ist: Nach Schätzungen kamen 3000 Terroristen der im Gazastreifen herrschenden Hamas sowie anderer extremistischer Gruppierungen in einem konzertierten Überraschungsangriff über die Grenze und töteten mehr als 1400 Menschen, meistens Zivilisten. Mehr als 240 Menschen wurden in das Palästinensergebiet entführt. Rund 1000 Terroristen wurden von israelischen Soldaten getötet, etwa 1800 konnten zurück in den Gazastreifen entkommen und rund 200 wurden festgenommen.
Schrecken des 7. Oktobers (Galerie enthält Bilder grosser Gewalt)
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Bild 1 von 9. Am frühen Morgen des 7. Oktobers 2023 beschiesst die Hamas aus dem Gazastreifen den israelischen Staat. Es ist der Beginn des neu aufgeflammten Gaza-Krieges. Bildquelle: AP Photo/Fatima Shbair.
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Bild 2 von 9. Am selben Tag müssen an einem Technofestival ganz in der Nähe des Gazastreifens Besucher vor bewaffneten Hamas-Kämpfern fliehen. Berichten zufolge werden über 300 Personen getötet. Bildquelle: Reuters/Screenshot aus Social-Media-Video.
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Bild 3 von 9. Manche werden von den Angreifern erwischt und mitgeschleppt, wie eine Autokamera filmt. (7.10.23). Bildquelle: South First Responders via AP.
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Bild 4 von 9. Erfolglose Flucht im Auto: So sah die Strasse neben dem Festival nach dem Überraschungsangriff der Hamas aus. (7.10.23). Bildquelle: South First Responders via AP.
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Bild 5 von 9. Die Terroristen ziehen weiter: Videoaufnahmen zeigen, wie ein Hamas-Kämpfer vor dem Kibbuz Beeri in der Nähe des Festivalgeländes auf ein Auto zielt. (07.10.23). Bildquelle: South First Responders via Telegram via REUTERS .
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Bild 6 von 9. Der Kibbuz Beeri ist eine der am schwersten getroffenen Ortschaften des Hamas-Massakers. (11.10.23). Bildquelle: EPA/ATEF SAFADI.
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Bild 7 von 9. Ein Palästinenser stellt einen von Hamas-Kämpfern getöteten Israeli in einem Kibbuz nahe dem Gazastreifen zur Schau. (7.10.23). Bildquelle: AP Photo/Abed Abu Reash.
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Bild 8 von 9. Trauernde an einer Beerdigung eines Menschen, der am 7. Oktober im Kibbuz Shefayim getötet wurde. (23.10.23). Bildquelle: AP Photo/Ariel Schalit.
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Bild 9 von 9. Eine Israelin trauert in Sderot um ihren Verwandten, der beim Angriff getötet wurde. (7.10.23). Bildquelle: AP Photo/Baz Ratner.
Schifroni versteckte sich mit drei weiteren Erwachsenen und vier Kindern stundenlang im engen Schutzraum. Gegen Mittag hörte die Familie plötzlich, wie Terroristen ins Haus eindringen. «Sie schossen um sich, und zwei Kugeln durchschlugen die Tür des Schutzraumes», erzählt Schifroni. Er hatte die Klinke aussen an der Tür abmontiert und hielt diese von innen zu.
Nach etwa einer Stunde gehen die Angreifer wieder. Später erfährt der 38-Jährige, dass sie in einem Haus zwei Reihen weiter 30 bis 40 Kibbuzmitglieder versammelt und ermordet haben. Im Kibbuz Beeri wurden Hunderte Einwohnerinnen und Einwohner getötet oder in den Gazastreifen verschleppt. Die Ortschaft ist damit eine der am schwersten getroffenen.
In den Wochen nach dem Massaker wurden immer mehr erschreckende Videoaufnahmen und Bilder veröffentlicht, darunter viele Aufzeichnungen von Bodycams der Terroristen. Journalistinnen und Diplomaten wurde ein gut 40-minütiger Zusammenschnitt von Videoaufnahmen gezeigt, um das Ausmass der Gräueltaten zu veranschaulichen. In Netiv Haasara mussten zwei Jungen etwa mit ansehen, wie ihr Vater erschossen wurde. Auf dem Musikfestival schoss ein Terrorist wahllos auf Toiletten, in denen sich Menschen versteckt hatten.
Auch Sanitäterinnen und Sanitäter erzählten von Szenen höchster Grausamkeit. Von einer Schwangeren, der das Baby aus dem Leib geschnitten worden sein soll. Von einer Familie mit Kindern im Alter von sechs und acht Jahren, die beim Frühstück überfallen wurden. Dem Vater sollen die Augen ausgestochen, der Mutter eine Brust und Finger abgeschnitten worden sein. Unabhängig bestätigen lassen sich diese Berichte nicht.
Der Gazastreifen unter Dauerbeschuss (Hinweis: Diese Galerie enthält Bilder drastischer Gewalt)
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Bild 1 von 8. Noch am selben Tag der Hamas-Massaker in Israel reagiert der angegriffene Staat mit Luftschlägen auf den Gazastreifen. (07.10.23). Bildquelle: REUTERS/Ashraf Amra.
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Bild 2 von 8. Palästinenserinnen und Palästinenser suchen nach Überlebenden und Toten in den Trümmern des Flüchtlingslagers Dschabaliya. (01.11.23). Bildquelle: EPA/MOHAMMED SABER .
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Bild 3 von 8. ... wie auch hier, nach israelischen Luftangriffen auf die Stadt Khan Younis. (26.10.23). Bildquelle: AP Foto/Mohammed Dahman.
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Bild 4 von 8. Dieser Junge im Flüchtlingslager Bureij hatte Glück: Er konnte lebend aus den Trümmern gerettet werden. (02.11.23). Bildquelle: AP Photo/Mohammed Dahman.
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Bild 5 von 8. Andere – unter anderem auch Kinder – können nur noch tot geborgen werden. (24.10.23). Bildquelle: AP Photo/Abed Khaled.
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Bild 6 von 8. Nahe des Flüchtlingslagers Al-Shati. (24.10.23). Bildquelle: EPA/MOHAMMED SABER .
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Bild 7 von 8. Von über zehntausend Toten spricht die Gesundheitsbehörde des Gazastreifens. Die Behörde untersteht allerdings der Kontrolle der Hamas. Die Zahlen können nicht unabhängig verifiziert werden. Bildquelle: AP Photo/Fatima Shbair.
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Bild 8 von 8. Der Tod hat noch kein Ende: Die israelische Armee ist bei seiner Bodenoffensive – hier noch in der Vorbereitung – tief in den Gazastreifen vorgedrungen und versucht, die Hamas auszulöschen. (15.10.2023). Bildquelle: EPA/ABIR SULTAN.
Festgenommene Hamas-Terroristen erzählten im Verhör, sie hätten den Auftrag gehabt, möglichst viele Menschen zu töten und Geiseln zu nehmen. Die rund 240 Geiseln werden seitdem im Gazastreifen festgehalten. Ob bei den massiven israelischen Angriffen auch Geiseln getötet wurden und wie viele, ist unklar. Der bewaffnete Hamas-Arm behauptet, es seien mehr als 60 Geiseln getötet worden. Doch dabei könnte es sich auch um psychologische Kriegsführung handeln. Vier weibliche Geiseln wurden von der Hamas bisher freigelassen, eine Soldatin konnte von der israelischen Armee befreit werden.
Sympathie für Israel wieder gesunken
Nach den Worten von Politikprofessor Jonathan Rynhold gab es nach dem Massaker in Ländern wie den USA, Grossbritannien und Deutschland zunächst einen Anstieg der Sympathie für Israel. Unter dem Eindruck der massiven Gegenangriffe im Gazastreifen – nach Hamas-Angaben mit mehr als 10'000 Toten – sei diese wieder gesunken. Die meisten Menschen in diesen Ländern hätten es zu ihren Lebzeiten nie mit radikalen Anführern und Ideologien zu tun gehabt, die massive Verluste innerhalb ihrer eigenen Bevölkerung in Kauf nähmen wie etwa die Hamas.
«Die Menschen sehen die Zerstörung in Gaza und tragische Vorfälle und denken, es sei leicht, diese zu verhindern», sagt der Leiter der Abteilung für politische Studien an der Bar-Ilan-Universität nahe Tel Aviv. «Sie sehen nicht die Komplexität des Kampfes gegen einen Feind, der seine eigenen Zivilisten in Gefahr bringt und sich hinter ihnen versteckt.»
Die Hamas ist eine mörderische Organisation, und sie muss zerstört werden.
Zurück zu Omri Schifoni: Eine Rückkehr der Einwohnerinnen und Einwohner Beeris in den Kibbuz sieht er nur im Fall einer kompletten Zerstörung der Hamas als Möglichkeit. «Ich habe dieselbe Sympathie für ein Kind in Gaza wie für ein Kind in Sderot», sagt Schifroni. Er lebt im Ort Givat Chaviva, der sich seit langem für Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt. «Aber die Hamas ist eine mörderische Organisation, wie [das Terrornetzwerk] Islamischer Staat, und sie muss zerstört werden.»