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Angriffe auf Israel Eskalation im Nahen Osten: Warum genau jetzt?

Nach massiven Raketenangriffen vom Gazastreifen auf Israel hat die radikal-islamische Hamas eine Militäroperation gegen Israel erklärt. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte zur Bevölkerung, Israel sei im Krieg. Auslandredaktorin Susanne Brunner, die regelmässig aus und über Israel berichtet, schätzt die Lage ein.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandsredaktion von Radio SRF.

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Wie ist die Lage in Israel?

Die israelische Armee hat bestätigt, dass die Hamas Israelis verschleppt und Soldaten getötet hat. Von beiden Seiten – Israel und Gaza – werden Hunderte von Verletzten gemeldet – auch dürften wohl insgesamt, also in Gaza und in Israel, bereits mindestens 250 Menschen getötet worden sein.

Der israelische Geheimdienst und die Sicherheitskräfte scheinen vollkommen überrascht worden zu sein von der Kriegserklärung der radikal-islamischen Hamas. Einerseits von der Menge der Raketen – laut israelischer Armee haben Militante 2500 Raketen nach Israel abgefeuert. Andererseits gelang es über 60 Militanten, nach Israel zu gelangen. Einwohnerinnen und Einwohner von Kibbuz-Siedlungen berichten von Hamas-Einheiten, die in Häuser eingedrungen seien und Geiseln genommen hätten.

Militante Kämpfer dringen unbemerkt in Israel ein: eine neue Eskalationsstufe?

Dass Terroristen mit Motorrädern, Gleitschirmen und sogar übers Meer kommen können, um Israel anzugreifen – und das aus dem Gazastreifen, der rund um die Uhr von israelischen Drohnen und Wachtürmen und anderem überwacht wird: Das ist schon unüblich und erschreckend. Die Frage, wie die Geheimdienste und die Sicherheitskräfte dermassen überrascht werden konnten von einer Terrororganisation, wird Israel noch lange beschäftigen.

Warum ist der Konflikt gerade jetzt eskaliert?

Diese Eskalation bahnt sich schon lange an. Der Hauptauslöser ist die Tatsache, dass Friedensbemühungen schon vor Jahren gescheitert sind. Auf der einen Seite wächst in den Palästinensergebieten eine Jugend heran, die zu einem grossen Teil keine Perspektive hat. Sie wird von einer korrupten, autoritären Machtelite geführt, die längst nicht mehr demokratisch legitimiert ist. Auf der anderen Seite ist eine Regierung in Israel an der Macht, die offen sagt: Das ganze Land ist unser Land. Minister hetzen offen gegen Palästinenser und Extremisten in den jüdischen Siedlungen.

Beide Seiten – Israelis und Palästinenser – sehen angesichts des vor Jahrzehnten zusammengebrochenen Friedensprozesses überhaupt keine Perspektive für Dialog. Die Folge ist die sinnlose Eskalation der gegenseitigen Gewalt.

Rauch steigt aus der Stadt Aschkelon im Süden Israels auf.
Legende: Die radikal-islamische Hamas hat Israel mit Tausenden Raketen angegriffen. Bild: Raketen starten im Gazastreifen am 7. Oktober 2023. Keystone/AP Photo/Hatem Moussa

Warum greifen die Hamas genau jetzt an?

Die Angriffe auf Israel gingen klar von der radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas aus. Dafür gibt es viele Gründe: Die Hamas war offenbar bereit für einen solchen Angriff, entdeckte Schwachstellen in der israelischen Abwehr. Dann eskaliert die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern seit diesem Jahr von Monat zu Monat immer mehr. Zudem ist der 7. Oktober ein symbolischer Tag: Vor 50 Jahren griffen arabische Staaten Israel überraschend an, es kam zum Jom-Kippur-Krieg.

Wie geht es in der jüngsten Eskalation weiter?

Israels Premier Netanjahu spricht davon, dass sein Land im Krieg sei. Die Frage ist nun, wie weit die israelische Regierung gehen wird: mehr Land, alles Land annektieren? Und was würde das für Israel bedeuten? Das Terrorproblem wird Israel jedenfalls wohl noch lange nicht los. Und die Hamas hat dafür gesorgt, dass es der palästinensischen Bevölkerung wohl nochmals viel schlechter gehen wird, was wiederum ihr in die Hände spielt.

Wie steht es um die israelische Armee?

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Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant hat von einem «grossen Fehler» der Hamas gesprochen und Reserveeinheiten einberufen. Doch in Israel protestieren seit Monaten Hunderttausende Menschen gegen die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu. Einige Tausend Reservesoldaten und -soldatinnen haben gedroht, nicht mehr Dienst leisten zu wollen. Beobachter sagten deshalb auch, das könnte die israelische Armee schwächen.

Könnten die Proteste die Armee wirklich schwächen?

Der Überraschungsangriff der Militanten in Gaza, dem sich offenbar andere palästinensische Gruppierungen anschliessen, kommt auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg, bei dem Israel von einem Angriff arabischer Staaten überrascht wurde. Das ist tief in der israelischen Seele verankert. Dementsprechend haben protestierende Reservisten bereits angekündigt, sie würden zu ihren Einheiten zurückkehren, und fordern andere auf, es ihnen gleichzutun. Die Samstagabend-Proteste sind zum ersten Mal in 40 Wochen abgesagt worden.

Krieg im Nahen Osten

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Die Konflikte in Israel, im Westjordanland und im Gazastreifen halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

SRF 4 News, 07.10.2023, 10 Uhr ; 

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