Hunderte Raketen wurden in den letzten Tagen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert, ständig geht der Luftalarm. Die meisten Raketen werden zwar abgefangen, trotzdem sind Verletzte zu beklagen. Die israelische Armee ihrerseits bombardiert den Gazastreifen, dabei sollen mindestens 25 Menschen getötet worden sein. Eine Einschätzung der Lage von Nahost-Kennerin Susanne Brunner.
SRF News: Es ist der grösste Gewaltausbruch in Nahost seit mehreren Monaten – wieso gerade jetzt?
Susanne Brunner: Eigentlicher Auslöser war der Tod eines in Israel inhaftierten Mitglieds des von Israel als Terrororganisation bezeichneten Islamischen Dschihads.
Dass in Israel die extremste Regierung seit der Staatsgründung an der Macht ist, verbessert die Situation nicht gerade.
Das Ganze ist auch in grösserem Zusammenhang zu sehen: Seit mehr als einem Jahr wird Israel von einer Terrorwelle heimgesucht, worauf das Land mit Antiterror-Operationen in den besetzten Gebieten reagiert. Und darunter leidet wiederum die palästinensische Bevölkerung. Dass in Israel die extremste Regierung seit der Staatsgründung an der Macht ist, hat die Situation auch nicht verbessert.
Seit Monaten gehen regelmässig Hunderttausende Israelis gegen eine geplante Justizreform der Regierung Netanjahus auf die Strasse. Wie wirkt sich die Gewalteskalation mit den Palästinensern auf diese inner-israelische Spaltung aus?
Selbst die Gewalt mag die Israelis nicht zu einen – die Proteste der Regierungsgegner gehen trotz der Eskalation weiter. Ich habe noch nie so eine grundsätzliche Spaltung Israels erlebt wie in letzter Zeit. Es wird äusserst verbissen diskutiert und demonstriert.
Bei dem Streit geht es um etwas sehr Grundsätzliches: Was für ein Staat will Israel sein?
Gestritten wird zwar um die Regierungspläne, die Justiz zu schwächen. Doch es geht um etwas viel Grundsätzlicheres: Es geht darum, was für ein Staat Israel sein will – und da gehen die Meinungen diametral auseinander. An den Protesten beteiligen sich auch viele israelische Soldaten.
Würden die Soldaten in einem Krieg kämpfen, wenn es so weit käme?
Diese Frage habe ich zwei Elitesoldaten in Jerusalem und Tel Aviv gestellt. Sie sind jetzt Reservesoldaten und gehören der Organisation von Veteraninnen und Reservisten an, welche gegen die Regierung protestieren, «Brothers in Arms». Sie verweigern im Moment den Dienst.
Auf die Frage, ob sie auch im Ernstfall verweigern würde, sagte der eine, Oran Shvil, er würde nur dann kämpfen, wenn nicht die Regierung Netanjahus den Krieg begonnen habe, um von den Spannungen im Land abzulenken.
Tatsächlich ist umstritten, ob der Premier die Lage nicht deshalb jetzt eskalieren lässt. Der andere Soldat, Yiftach Golov, sagte, er sei überzeugt, dass die grösste Gefahr für Israel im Moment sowieso nicht von aussen komme – sondern von innen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.