Hunderte Menschen sind ums Leben gekommen. Viele mehr sind verletzt worden. Silvia Oren lebt im Süden Israels, nur wenige Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Sie erlebt die Auseinandersetzung hautnah. Ein Augenzeugenbericht.
SRF News: Wie haben Sie die ersten Momente des Angriffs erlebt?
Silvia Oren: Es war ein fürchterliches Getöse. Wir meinten alle, es sei ein Gewitter. Aber das konnte kein Gewitter sein, denn das Wetter war gut. Die Wände haben gezittert. Es war nicht der gewöhnliche Lärm von Raketen, es waren andere Geschosse, die wir so noch nicht wahrgenommen haben.
Plötzlich hörte man draussen Gewehrschüsse.
Wir haben unsere Verhaltensweisen und Methoden: Wir sind in den Sicherheitsraum gegangen und haben die Sicherheitsläden heruntergelassen. Plötzlich hörte man draussen Gewehrschüsse, in unserem Dorf, auf den Wegen. Es war fürchterlich.
Wie gehen die Menschen mit der Situation um?
Die meisten sind diszipliniert. Sie haben den Ablauf schon verinnerlicht. Aber mit kleinen Kindern ist es sicherlich nicht einfach. Wir haben in unserem Gebiet, wenn es zu einer solchen Stresslage kommt, einen psychologischen Dienst. Dieser arbeitet dann online und hilft der Bevölkerung. Wir haben auch im Kibbuz Leute, an die man sich wenden kann.
Haben Sie den ganzen Tag im Schutzraum verbracht?
Mehr oder weniger. Wir haben ihn verlassen, um auf die Toilette zu gehen oder Wasser zu holen. Am Schluss habe ich gemerkt, dass ich gar nichts gegessen habe. Wir haben aber guten Kontakt übers Telefon. Es gibt auch eine Informationsapp vom Kibbuz. Die Kommunikation läuft wunderbar und das hilft natürlich.
In anderen Dörfern in der Nähe haben sie Geiseln genommen.
Wir haben auch eine Art Sicherheitspersonal. Das sind Männer, die für die Sicherheit im Kibbuz verantwortlich sind. Sie sind immer sehr effizient und ruhig. Und sie haben heute alle Terroristen vertrieben oder erledigt. Sie haben uns gerettet. In anderen Dörfern in der Nähe haben sie Geiseln genommen und in einem Raum eingesperrt. Ganz grässlich.
Es heisst von offizieller Seite, dass Israel sich im Krieg befindet. Was löst das bei Ihnen aus?
Eigentlich verspüre ich viel Ärger. Ich bin überzeugt, dass man den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern schon vor Jahrzehnten hätte lösen können, wenn beide Seiten nicht von Macht und Gier besessen wären. So gibt es keine Lösung.
Wir haben schon viele solche Kriege erlebt.
Im Moment des Angriffs bin ich meistens ruhig. Aber nachher, da arbeitet es im Gehirn schon weiter. Wir haben schon viele solche Kriege erlebt. Sowas sinkt immer eine Lage tiefer. Es ist kein gutes Gefühl.
Die Hamas hat erklärt, das sei erst der Anfang. Wie gehen Sie mit dieser Drohung um?
Ich weiss nicht genau. Das sind oft leere Drohungen, die vielleicht nicht ganz ernsthaft sind. Aber ja, solange man sich nicht an einen Tisch setzt und anfängt zu verhandeln, um einen Weg zu finden, geht es immer so weiter. Es ist sehr traurig.
Das Gespräch führte Anna-Lisa Achtermann.