Der Motor liegt zerlegt auf dem Tisch, die Kabel baumeln, der linke Flügel ist abgebrochen. «Das sind die Überreste einer Shahed-136-Drohne aus russischer Produktion.»
Andriy Kulchitski hat gerade die Tür des von ihm geleiteten militärischen Forschungslabors geöffnet. Seit Jahren studiert er unter dem Mikroskop alle Geheimnisse der Waffen, die Moskau gegen Kiew einsetzt. Wenn eine von Russland abgefeuerte Drohne, Rakete oder Artilleriegranate auf ukrainisches Territorium fällt, werden die Überreste zu ihm und seinem Team gebracht, in das forensische Institut in Kiew (KNDISE).
Jedes Fragment wird analysiert
«Mehr als 400 Personen arbeiten hier», sagt Institutsdirektor Oleksandr Ruvin. Seine Mitarbeitenden haben beispielsweise herausgefunden, dass Russland seit rund einem Jahr moderne Hyperschallraketen einsetzt. Im vergangenen Februar wurde ein Wohnhaus in Kiew von einer dieser Raketen des Typs «Zircon» zerstört. Es sei das erste Mal seit Beginn der grossangelegten Invasion gewesen, dass Russland eine derart fortschrittliche Rakete eingesetzt habe.
Die Katalogisierung neuer Waffen ist jedoch nur ein kleiner Teil der täglichen Arbeit des Instituts. Eine der wichtigsten Aufgaben besteht darin, nicht-russische Komponenten in den Fragmenten zu entdecken und zurückzuverfolgen. «Wir versuchen herauszufinden, in welcher Fabrik sie hergestellt wurden, welche Marken sie enthalten, warum man sich für sie entschieden hat und von wem sie stammen», erklärt Ruvin.
Im Labor ist jeder Chip, der aus den Schaltkreisen einer Rakete oder Drohne ausgebaut wurde, mit einer Plakette versehen. Diese gibt das Unternehmen und das Land an. Auf einem Regal stehen die Überreste einer Drohne, die vom russischen Geheimdienst für Spionageoperationen eingesetzt wird. Das System im Inneren besteht aus Sony-Komponenten, die in Japan hergestellt wurden. Im Labor befinden sich zusätzlich Platten von Unternehmen aus Taiwan, Südkorea, aber auch aus den Niederlanden und mehreren Unternehmen aus den USA.
«Verbrechen gegen die Ukraine»
Die Zusammenarbeit zwischen dem Kiewer Institut und den ukrainischen Streitkräften sei konstant, bestätigt Ruvin. «Durch unsere Untersuchungen können wir unsere Streitkräfte besser bei der Entwicklung verschiedener Abwehrgeräte und -systeme gegen die russischen Drohnen und Raketen angemessen unterstützen», sagt er. «Aber auch bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen können wir helfen.»
Das Institut berät und unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof, «und unsere Untersuchungen helfen bei der Schaffung einer beweiskräftigen Grundlage.» So habe das Institut beispielsweise den Einsatz von Streubomben nachweisen können. Der Einsatz dieser gilt als schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts: als Kriegsverbrechen.
Seit 2014 hat das Institut mehr als 40'000 Expertenberichte fertiggestellt. Sie kommen beim Strafgerichtshof mit der immer gleichen Aufschrift an, erklärt Ruvin. «Zlochyny proty Ukrayiny» – Verbrechen gegen die Ukraine.