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Abwehrkrieg gegen Russland Zu wenige Raketen für die Ukraine – und vor allem zu spät

Am Dienstag zerstörte die ukrainische Armee mit einer amerikanischen ATACMS-Rakete ein Munitionsdepot in Russland. Gestern wurde bekannt, dass mindestens eine britische Storm-Shadow-Rakete ein russisches Kommandozentrum traf. Die beiden Angriffe verliefen offenbar erfolgreich. Andere Raketen wurden abgefangen.

Die amerikanischen und britischen Raketen erhöhen die Widerstandskraft der Ukraine, die arg in die Defensive geraten ist. Die raschen Einsätze deuten aber nicht darauf hin, dass sich dahinter eine längerfristige ukrainische Strategie verbirgt. Es ging wohl in erster Linie darum, ein Zeichen zu setzen – an die Adresse Moskaus, aber mindestens ebenso an die zunehmend demoralisierten eigenen Truppen.

Kurzfristig dürften also die amerikanischen, britischen und womöglich bald auch französischen Raketen etwas Entlastung schaffen. Zudem können die durch ein internationales Abkommen verbotenen, nun aber von den USA angekündigten Antipersonenminen das Vorrücken der russischen Streitkräfte bremsen.

Das wiederum soll es der Ukraine ermöglichen, das eroberte russische Gebiet bei Kursk noch eine Weile zu halten – und so als Verhandlungs-Chip zu nutzen, sollte es demnächst tatsächlich Gespräche zwischen Kiew und Moskau geben.

Die Wende wird das kaum bringen

Nur die wenigsten Militärfachleute glauben aber, dass die neuen waffentechnischen Optionen eine Wende im Krieg bringen und der Ukraine nachhaltig Oberwasser verschaffen. Dafür erfolgte Washingtons Zusage nicht rechtzeitig genug. Zudem sind die Arsenale zu klein und der Nachschub viel zu gering bei diesen wirksamen Raketen mit einer Reichweite bis 300 Kilometer.

Kiew kann nun vermutlich während kurzer Zeit ein paar ausgewählte russische Ziele angreifen, aber keine nachhaltigen oder flächendeckenden Bombardements planen. Ausserdem hatte Russland üppig Zeit, sich vorzubereiten auf die neuen militärischen Optionen der Ukraine. Sie erhöhen zwar für Russland den Preis des Krieges, aber längst nicht hinreichend, um den Kreml zum Einlenken zu bewegen.

Es erstaunt daher nicht, dass US-Präsident Joe Bidens Umentscheidung in Kiew zwar erfreut, aber nicht enthusiastisch aufgenommen wurde. Man weiss, dass sie wohl einmal mehr zu zögerlich und zu spät erfolgte.

Russische Interkontinentalrakete

Russland wiederum reagiert auf die neue Situation verärgert. Wirklich nervös scheint man in Moskau hingegen nicht zu sein, wenngleich Aussenminister Sergej Lawrow von einer neuen Kriegsphase spricht und ankündigt, man werde entsprechend reagieren.

Laut Berichten und primär wohl als symbolischen Akt, hat Russland inzwischen erstmals eine Interkontinentalrakete auf die Ukraine abgefeuert . Gleichzeitig repetiert es seine nuklearen Drohungen. Sie verlieren im Westen aber allmählich an Wirkung.

Im Schlachtfeld entsteht vorläufig keine wirklich neue Situation. Im günstigsten Fall für die Ukraine erhält sie nun etwas mehr Manövriermasse. Und damit leicht bessere Karten, um in künftigen Verhandlungen nicht gänzlich klein beigeben zu müssen.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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Rendez-vous, 21.11.2024, 12:30 Uhr;stal

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