Zum Inhalt springen

Krieg gegen die Ukraine Diese Strategie steckt hinter den Kreml-Drohungen

Die Ukraine soll Russland erstmals mit weiterreichenden US-Raketen beschossen haben. Das meldet das russische Verteidigungsministerium. Zudem hat Russlands Präsident Putin eine neue Atomdoktrin unterschrieben. Neu droht er, Atomwaffen einzusetzen, wenn sich Atommächte an Raketenangriffen auf Russland beteiligen würden. Antworten von SRF-Russland-Korrespondent Calum MacKenzie.

Calum MacKenzie

Russland-Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Calum MacKenzie ist Russland-Korrespondent von Radio SRF. Er hat in Bern, Zürich und Moskau Osteuropa-Studien studiert.

Was löst die Meldung der US-Raketen in Russland aus?

Der russische Aussenminister Sergei Lawrow hat diesen Angriff ein Zeichen dafür genannt, dass der Westen den Konflikt eskalieren wolle. Das ist aber nicht genau die Sichtweise, die Wladimir Putin im Vorfeld angekündigt hatte. Dieser sagte, man würde einen solchen Raketenschlag als direkten Kriegseintritt der Nato betrachten. Von der russischen Bevölkerung auf der anderen Seite spüre ich keine starke Reaktion.

Wie kommuniziert der Kreml?

Die Botschaften aus dem Kreml sind widersprüchlich. Einerseits heisst es, der Einsatz der weitreichenden Waffen sei der Kriegseintritt der Nato, andererseits erklärt die russische Propaganda seit gut zwei Jahren, man kämpfe gegen die ganze Nato. Zudem sagt der Kreml, es werde mit solchen Angriffen auf russisches Gebiet eine rote Linie überschritten, aber die Ukraine beschiesst mit diesen Raketen schon lange die besetzten ukrainischen Gebiete, die der Kreml als Teil Russlands betrachtet.

Welche Strategie steckt hinter den Drohungen?

Putin nutzt die Drohungen, um den Westen von einem bestimmten Vorhaben abzuschrecken, wenn auch nur, um etwas Zeit zu gewinnen. Mit den westlichen Langstreckenraketen hat es gut funktioniert: Ursprünglich wollte sie die Ukraine nutzen, um die Militärflugplätze zu beschiessen, von denen aus russische Bombenflugzeuge starten. Aber die Diskussion hat sich monatelang hingezogen, auch wegen der Angst vor einer nuklearen Eskalation, und in dieser Zeit hat Russland seine Flugzeuge tiefer ins Land hinein verlegt, ausser Reichweite der Raketen.

Ein weiteres Beispiel: Am Anfang des Krieges hat Putin gesagt, wenn sich der Westen einmische, gebe es eine Reaktion, wie man sie nie zuvor gesehen habe. Der Westen hat dann die Ukraine mit Waffen unterstützt, aber nur sehr zögerlich. Die Drohungen funktionieren oft – darum spricht sie Putin so oft aus. Es geht nicht um ein echtes Vorhaben, Atomwaffen einzusetzen, sondern darum, mit der Drohung etwas zu erreichen.

Unter welchen Umständen könnte Putin seine (atomaren) Drohungen tatsächlich wahr machen?

Putin handelt zwar innerhalb seiner eigenen, neo-imperialen Logik, aber er handelt rational. Aktuell ist auch für ihn klar, dass ein Atomwaffeneinsatz viel mehr Nachteile als Vorteile bringen würde. Russland kommt zwar an der Front voran, auf dem Schlachtfeld bringt die Atombombe aber nicht viel; es ist gut möglich, dass ein solcher Schlag den Widerstandswillen der Ukrainer eher stärken als brechen würde. Vor allem würde ein solcher Einsatz Russlands Verbündete dazu bringen, sich abzuwenden. China zum Beispiel will nicht, dass diese Büchse der Pandora wieder geöffnet wird. Darum setzt Putin solche Waffen wohl erst ein, wenn er meint, er gewinne mehr als er verliere. Es ist unklar, wann dieser Punkt kommt. Aber Putin weiss auch, dass er in jedem Fall eines Atomwaffeneinsatzes möglicherweise auch Leute in seiner eigenen Elite gegen sich aufbringen kann. Ich denke also, es wird noch lange bei reinen Drohungen bleiben.

SRF 4 News, 20.11.2024, 06:20 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel