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«Russland ist für Europa auch langfristig ein Problem»
Aus Echo der Zeit vom 11.11.2024. Bild: KEYSTONE/EPA/OLIVIER MATTHYS
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Oberster Nato-Militär «So oder so haben wir ein Russland-Problem»

Die Lage für die Nato ist ungemütlich. Russland könnte schon bald die Ukraine besiegen. Die Verteidigungsfähigkeit Europas hat Lücken. Und dann ist da auch noch Donald Trump. Es brauche also dringend mehr europäische Efforts, fordert der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Admiral Rob Bauer. Der oberste Nato-Militär war zuvor Chef der niederländischen Streitkräfte.

Rob Bauer

Vorsitzender des Nato-Militärausschusses

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Robert Peter «Rob» Bauer wurde 1962 geboren und ist ein niederländischer General. Von 2017 bis 2021 war er Befehlshaber der niederländischen Streitkräfte. Aktuell ist er Vorsitzender des Nato-Militärausschusses.

SRF News: Die Nachrichten von der Front sind unerfreulich für die Ukraine. Was ist Ihre Einschätzung – droht die Ukraine, den Krieg zu verlieren?

Rob Bauer: Kriege sind sehr volatile Ereignisse. Mal geht es in die eine, mal in die andere Richtung. Das haben wir schon im Zweiten Weltkrieg gesehen. Momentan steht die Ukraine unter Druck. Im Grunde haben beide Seiten dasselbe Problem: zu wenig Soldaten, zu wenig Waffen und Munition. Dabei setzt Russland stark auf Masse – die Ukraine versucht, mit Qualität dagegenzuhalten. 

Die Ukraine hat den Krieg nicht verloren.

Doch das wird immer schwieriger: Russland kämpft nicht mehr alleine, sondern hat eine De-Facto-Allianz hinter sich geschart.

Ja, wegen der nordkoreanischen Hilfe, der iranischen Hilfe, etwa mit Drohnen, und vor allem der chinesischen Hilfe, ohne die Russland den Krieg gar nicht fortführen könnte, ist es schwierig für die Ukraine. Sie erzielt zwar Erfolge mit Angriffen auf russische Munitionslager. Doch die Russen rücken weiter vor, wenngleich mit gewaltigen Verlusten. Aber nein: Die Ukraine hat den Krieg nicht verloren. 

Der Westen hat die Ukraine stärker unterstützt, als Wladimir Putin wohl erwartet hat. Muss man sich aber angesichts der aktuellen Lage nicht eingestehen: Es war oft zu spät und zu wenig? 

Die Hilfe begann ziemlich schnell nach dem russischen Angriff. Doch dann dauerte es zu lang, bis wir der Ukraine gewisse Waffensysteme zur Verfügung stellten. Es gab die Panzerdebatte, die Himars-Raketenwerfer-Debatte, die F-16-Debatte und so weiter. Während wir, aus legitimen Gründen, darüber diskutierten, ob wir diese Waffen liefern sollen, fuhr Russland seine Rüstungsproduktion hoch. Das behinderte 2023 die ukrainische Gegenoffensive.

In Krisen und im Krieg muss man stets für den Spitzenbedarf gewappnet sein.

Ja, wir hätten mehr tun sollen. Aber ungenügend war eben auch unsere Rüstungsproduktion. Das Prinzip, immer gerade so viel wie nötig zu produzieren, funktioniert in Kriegen nicht. Und auch nicht bei Gesundheitskrisen wie der Covid-Pandemie. In Krisen und im Krieg muss man stets für den Spitzenbedarf gewappnet sein. Doch noch immer tun wir uns schwer, für die Ukraine und unsere eigenen Bedürfnisse genügend Waffen herzustellen.

Heisst das: Der Westen leistet zwar viel, aber zu wenig effizient?

Effizient – ich werde etwas hibbelig, wenn ich dieses Wort höre. Entscheidend für die Verteidigung ist Effektivität. Es geht in Kriegen nicht primär um den Preis. Es geht darum, ob man siegt oder verliert. Wir sind zu langsam beim Ausbau unserer Kapazitäten. Demokratien haben es da naturgemäss schwerer als Diktaturen. Wir müssen die Menschen überzeugen von Investitionen in die Verteidigung.

So oder so haben wir ein Russland-Problem.

Wir müssen ihnen zudem ausreden, dass es unethisch sei, in die Waffenproduktion zu investieren. Was ist daran unethisch, sich selber zu verteidigen? Wer daran zweifelt, sollte sich in Gaza, Syrien, in der Ukraine oder im Jemen umsehen. Dort sieht man, was ein Krieg an Verheerungen anrichtet. Investitionen in Abschreckung, in die Verhinderung eines Krieges sind sehr nachhaltige Investitionen. 

Männer in Anzügen und Uniform in Diskussion.
Legende: Nato-Generalsekretär Mark Rutte (links) begrüsst Admiral Rob Bauer (Mitte) am Nato-Ministertreffen in Brüssel am 18. Oktober 2024 in Brüssel. KEYSTONE/EPA/OLIVIER MATTHYS

Glauben Sie, Russland wäre derzeit militärisch imstande für einen Angriff auf ein Nato-Land?

Ich bezweifle das. Vor allem bei der Landkriegsführung ist Russland momentan ausserstande, neben dem Krieg gegen die Ukraine einen weiteren zu führen. Entsprechend unwahrscheinlich ist aktuell ein Angriff. 

Aber falls die Ukraine fiele und Russland seine Mittel anders einsetzen könnte?

Wie immer der Krieg ausgeht – wir müssen Russland als Bedrohung ernst nehmen. Bei einem Sieg fühlten sich die Russen gestärkt. Bei einer Niederlage wären sie frustriert. So oder so haben wir ein Russland-Problem.

Es geht nicht um einen amerikanischen Nato-Austritt, sondern darum, dass wir noch mehr tun müssen.

Hat die Nato nun nicht zugleich ein USA-Problem nach der Wiederwahl von Donald Trump? Er gilt nicht als Nato-Fan.

Europa muss mehr Verantwortung übernehmen. Es geht aber nicht darum, ob Trump ein Nato-Fan ist. Seine Frustration – und übrigens auch die anderer US-Präsidenten – gründete darin, dass die Europäer und die Kanadier zu wenig investierten in ihre eigene Sicherheit – und sich einfach auf die USA verliessen.

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Wahlen USA 2024: Trumps Verhältnis zu Nato und China
Aus Tagesschau vom 06.11.2024.
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Wenn nun Trump im Januar als Präsident zurückkehrt, können wir ihm sagen, dass die meisten Nato-Länder erheblich mehr leisten. Es geht also nicht um einen amerikanischen Nato-Austritt, sondern darum, dass wir noch mehr tun müssen. Das bisherige Ziel, zwei Prozent vom Bruttoinlandprodukt in die Verteidigung zu stecken, ist überholt. Wir wissen inzwischen genau, was wir brauchen für eine wirksamen Verteidigung – beim Heer, bei der Luftwaffe, bei der Marine und im Cyberbereich. Und wir wissen, was das kostet – und das ist deutlich mehr als die zwei Prozent. 

Es gibt selbst für die Schweiz keine ewige Friedensgarantie – und das kann bedeuten, dass auch sie mehr investieren muss. 

Die Schweiz befindet sich mitten in Westeuropa in einer komfortablen Lage. Sie gibt weit weniger als zwei Prozent für ihre Verteidigung aus. Müsste sie mehr tun? 

Die Schweiz muss sich selber verteidigen können, zumal sie nicht Teil der Nato ist. Allerdings profitiert sie davon, dass die Länder um sie herum durch die Nato verteidigt werden. Aber es gibt selbst für die Schweiz keine ewige Friedensgarantie. Und das kann bedeuten, dass auch sie mehr investieren muss. 

Sehen Sie angesichts der heutigen Weltkonfliktlage überhaupt noch Raum für neutrale Länder?

Die auf Regeln basierende Weltordnung wird durch immer mehr Länder gefährdet, welche die Regeln brechen. Darunter Russland gegen die Ukraine oder China gegen die Philippinen. Sie tun das, ohne dafür bestraft zu werden. Die Schweizer Neutralität ist angewiesen auf eine regelbasierte Weltordnung. Denn sonst anerkennt und respektiert gar niemand ihre Neutralität.

Die Schweiz muss zu jenen Ländern gehören, welche die auf Völkerrecht basierende Weltordnung verteidigen. Wer das tun will, muss mehr tun als nur darüber reden. 

Schweden und Finnland kamen zum Schluss, dass die Respektierung ihrer Neutralität in Zweifel steht. Sie schlossen sich daher der Nato an. Ich sage nicht, die Schweiz solle das ebenfalls tun. Ich bin aber überzeugt, dass die Schweiz zu jenen Ländern gehören muss, welche die auf Völkerrecht basierende Weltordnung verteidigen. Wer das tun will, muss mehr tun als nur darüber reden. 

Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

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Archiv: Besorgte Stimmen am Prager Verteidigungsgipfel
aus Echo der Zeit vom 09.11.2024. Bild: Keystone/EPA
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Krieg in der Ukraine

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Echo der Zeit, 11.11.2024, 18 Uhr ; 

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