Man kann sich das Tessin kaum ohne sie vorstellen: Die Tessinerpalme ist im Südkanton omnipräsent und gilt als eines seiner Wahrzeichen. Doch nun soll es ihr an den Kragen gehen. Aber von Anfang an.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Chinesische Hanfpalme aus China eingeführt. Durch den Klimawandel breitet sie sich nun mehr und mehr aus. Im ganzen Tessin bedrohen die Palmenhaine die Artenvielfalt und die Schutzwälder.
Nicola Schoenenberger, Direktor des Genfer Botanischen Gartens, kritisierte als einer der Ersten die Palmeninvasion im Tessin. «Wenn sich die Palme in einem Gebiet ansiedelt, wird das artenreiche Unterholz durch diese eine Art ersetzt, die anderen Pflanzen das Licht stiehlt und die Biodiversität beeinflusst», erklärt er gegenüber dem Tessiner Fernsehen RSI.
Im Tessin haben 90 Prozent der Wälder eine Schutzfunktion – für Menschenleben, Siedlungen oder Infrastrukturen. Für Adrian Oncelli, Leiter des Amtes für Waldplanung, Waldbau und Waldschutz, ist klar: «Hätten wir den Wald nicht, müssten wir diese Schutzvorkehrungen durch Stützmauern und Steinschlagnetze ersetzen, die deutlich höhere Kosten verursachen als die Waldbewirtschaftung und die sich zudem sehr negativ auf Natur und Landschaft auswirken würden.»
Neue Erkenntnisse zur Ausbreitung
Eine Palme produziert 10'000 Früchte. Für die Ausbreitung der Samen sind Tiere verantwortlich, vor allem im Winter, wenn es kaum andere Nahrung gibt. Um eine genaue Vorhersage über das invasive Potenzial der Palme in der freien Natur treffen zu können, muss man die Tierarten kennen, die sich von ihren Früchten ernähren.
Darum hat die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL zusammen mit der Vogelwarte Sempach dies untersucht. Für Forscher Boris Pezzatti gab es dabei viele Überraschungen: «Wir wussten, dass sich Amseln und Rotkehlchen von den Beeren der Palmen ernähren. Aber wir haben darüber hinaus festgestellt, dass auch Ratten sie gerne essen.»
Für Boris Pezzatti ist die Palme ein echter Zeuge des Klimawandels: «Erst seit den 1980er-Jahren können ihre Samen in unseren Breitengraden keimen. Auch andere Arten profitieren vom Klimawandel, wodurch gewisse Pflanzen in unseren Wäldern ein ideales Ökosystem vorfinden.»
Nicht nur exotische Pflanzen, sondern auch Lorbeer, Stechpalme und Mäusedorn seien unter ihnen zu finden. «Wenn sich diese mit anderen Arten im Gleichgewicht befinden, sprechen wir nicht von einer Invasion, sondern von einer Transformation des Waldes.»
Die Krux mit dem Gesetz
Bereits gibt es Gesetze, um die Ausbreitung der Tessinerpalme einzudämmen: Wer sie auf seinem Grundstück hat, muss Eindämmungsmassnahmen ergreifen, indem er die Pflanze oder die Blütenstände vor der Fruchtbildung zurückschneidet. Aber im Tessin wird diese Verordnung nur von wenigen eingehalten.
Der Bundesrat hat daher nun eine angepasste Freisetzungsverordnung verabschiedet. Ab dem 1. September wird der Verkauf der Chinesischen Hanfpalme und anderer invasiver Arten verboten sein.