«Seit der Einführung von ChatGPT beobachten wir einen deutlichen Rückgang des Interesses an früher beliebten Lehrberufen, etwa jene in der öffentlichen Verwaltung. Hingegen steigt das Interesse an handwerklichen Berufen wie Maurer oder Maurerin.» Das sagt Daniel Goller von der Universität Bern. Er ist Hauptautor einer kürzlich durchgeführten Studie zu diesem Thema. Ausgewertet wurde das Suchverhalten auf einer Internet-Plattform zu Lehrberufen.
Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit verändert KI das Berufsleben. Eine internationale Umfrage des Beratungsunternehmens Deloitte ergab, dass sechs von zehn jungen Menschen der Generationen Z und Millennials (geboren zwischen 1981 und 2012) davon ausgehen, sie bräuchten eine Umschulung, um Fähigkeiten zu erwerben, die nicht so einfach durch Automatisierung oder KI ersetzt werden können.
In der Schweiz beginnen die meisten Buben und Mädchen nach der obligatorischen Schulzeit im Alter von 15 oder 16 Jahren eine Berufsausbildung, oft in Form einer kaufmännischen Lehre. Sie können aus einer Palette von rund 240 unterschiedlichen Berufen auswählen. Seit ChatGPT verfügbar ist, haben Goller und seine Kollegen von der Universität Bern einen Rückgang des Interesses von Männern und Frauen an kaufmännischen Ausbildungen und Verwaltungsberufen um 18 Prozent festgestellt.
«Für Mädchen und Buben im Teenageralter lohnt es sich nicht, drei Jahre ihres Lebens damit zu verbringen, einen Beruf zu erlernen, der durch KI ersetzt werden könnte», sagt Goller.
Bei Berufen mit manuellen Fähigkeiten, die einst als hochgradig gefährdet durch die Automatisierung galten, sank das Interesse hingegen nur um 3 Prozent. Generative KI kann beispielsweise keine Maurerarbeiten ausführen. Auch Berufe, die Einfühlungsvermögen und menschliche Nähe erfordern, lassen sich kaum automatisieren und werden auch in einer Welt mit mehr KI unverzichtbar bleiben. Das trifft etwa für das Pflegepersonal zu oder für Therapiekräfte und Lehrpersonen.
Obwohl also viele junge Menschen nach Berufen streben, die nicht von der Automatisierung gefährdet sind, sieht eine Mehrheit die Digitalisierung eher als Chance denn als Bedrohung für die eigene Berufslaufbahn. Nur ein Viertel der 2000 Jugendlichen, die für das Nahtstellenbarometer 2024 befragt wurden, glaubt, dass KI ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verringern wird.
Die Umfrage zeigt aber auch: Mehr als 40 Prozent der befragten Personen zwischen 14 und 17 Jahren befürchten, dass ihre Fähigkeiten durch die Digitalisierung irrelevant werden könnten.
Zudem zeigt sich ein ähnlicher Wandel in den Präferenzen, wie ihn auch die Universität Bern beobachtet. Die Verwaltungslehre, also die KV-Lehre, die auf die öffentliche Verwaltung spezialisiert ist, gehörte lange Zeit zu den gefragtesten Ausbildungen in der Schweiz. 2024 ist ihre Beliebtheit erstmals seit sechs Jahren deutlich gesunken. Gleichzeitig stieg die Beliebtheit von Berufen wie Coiffeur, Fachkraft im Gesundheitswesen und Dentalassistentin in die Top Ten auf.
Daniel Goller von der Universität Bern bleibt optimistisch. Trotz der Risiken ist er zuversichtlich, dass generative KI die Jobchancen der Schweizer Jugend nicht wesentlich beeinträchtigen wird.