Wohl nur wenige im Parlament kennen die Adresse des Bundeshauses. «Irgendwo am Bundesplatz?» rätselt etwa Nationalrätin Delphine Klopfenstein Broggini (Grüne). FDP-Kollegin Nadine Gobet ergänzt: «An der Nummer 1?»
Doch dies ist der Sitz der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Klopfenstein Broggini sagt dazu: «Symbolisch gesehen sagt das viel über die Rolle der Finanzwelt in der Schweiz aus.» Ein Rätsel mitten in Bern: Das Parlamentsgebäude wurde 1902 eingeweiht, dasjenige der SNB erst zehn Jahre später.
Umgeben von Banken
Auch Jean-Daniel Gross, Denkmalpfleger der Stadt Bern, kennt den Ursprung der Adressnummerierung nicht, vermutet aber Gründe, die mit der Realisierung des Bundesplatzes zu tun haben. Dieser sei in dieser Form nicht geplant gewesen, erst mit dem Bau des Gebäudes der Museumsgesellschaft und dann dem Bundeshaus sei die Idee eines Hauptplatzes entstanden.
Heute reihen sich beim Bundesplatz mehrere Banken aneinander. Neben der SNB steht noch die Credit Suisse mit der Nummer 2, die Valiant-Bank mit der 4 und die Berner Kantonalbank mit der 8. Das Parlamentsgebäude ist das einzige Gebäude am Platz, das keine Bank ist.
«Man könnte es so interpretieren, dass die Finanzinstitute die Nähe zur Politik gesucht haben. Vielleicht ist es jedoch simpler. Es ist ein spät geschaffener Platz, welcher repräsentativ ist und gefragte Grundstücke anbot. Es ist also logisch, dass man dort Institute findet, die auch die nötigen Finanzen besassen», erklärt Jean-Daniel Gross.
An der Inselgasse
Die Geschichte der Adresse des Bundeshauses ist verzweigt. Die meiste Zeit seines Bestehens verbrachte das Gebäude nicht an dem Platz, sondern an der Inselgasse. Als die Baubewilligung für das Bundeshaus erteilt wurde, «gab es den Platz noch nicht, er sollte erst noch gebaut werden», erklärt Christine Früh, Geometerin der Stadt Bern. Das Bundeshaus übernahm also die Adresse von jenem Gebäude, das es ersetzte: die Inselgasse 15.
Einige Jahre darauf wurde ein Gebäude vor dem Bundeshaus abgerissen – und der heutige Bundesplatz entstand. Das erste Gebäude, das an dessen Rand gebaut wurde, war 1909 jenes der SNB.
«Warum damals niemand auf die Idee kam, das Parlamentsgebäude am Bundesplatz 1 zu platzieren, kann ich nicht sagen», sagt die Stadtgeometerin. «Ich kann mir vorstellen, dass das Bundeshaus so bekannt war, dass die Adresse keine Rolle spielte. Weder die Feuerwehr noch die Post brauchten sie. Es reichte, auf einen Brief ‹Bundeshaus› zu schreiben, und er wurde zugestellt.»
Die Strasse des Bundeshauses änderte indes mehrmals den Namen: von der Inselgasse zur Theodor-Kochergasse und dann zur Kochergasse, dem heutigen Namen. Doch die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende.
Fassadennummerierung
Anfang der 1970er-Jahre änderte sich die Berner Gemeindeordnung. Sie schrieb neu vor, dass Gebäude ihre Hausnummer an der Fassade anbringen mussten. «Damals kam jemand auf die Idee, das Bundeshaus auf dem Platz zu adressieren», sagt Früh. Da die Nummer 1 bereits seit 60 Jahren und die Nummer 2 bereits seit 50 Jahren besetzt waren, wurde 1972 die Ziffer 3 an der Fassade montiert.
Heute wäre ein Nummerntausch «technisch umsetzbar» und «die Stadt Bern hätte nichts dagegen», sagt Früh. Allerdings müssten der Bund und die SNB dies wünschen, und die SNB müsste bereit sein, die prestigeträchtige Nummer 1 abzutreten.