Jüngste Studien warnen in verschiedenen Ländern vor aufkommendem Maskulinismus unter jungen Menschen. Diese Ideologie sieht die Männlichkeit in der Krise, bekämpft den Feminismus und fördert extreme Frauenfeindlichkeit. Das hat konkrete Auswirkungen: Diesen Sommer schlug die britische Polizei aufgrund der Radikalisierung von Jungen durch Influencer Alarm. Woher kommt diese Entwicklung? Das Westschweizer Radio RTS hat bei Alice Apostoly nachgefragt, Mitbegründerin des Thinktanks «Institut du Genre en Géopolitique» in Paris.
Junge Männer und Frauen, unterschiedliche Codes
«Heutzutage haben junge Frauen ein progressiveres Verständnis von zwischenmenschlichen Beziehungen als junge Männer», sagt Alice Apostoly in der Sendung «La Matinale». Im Zuge der #MeToo-Welle hätten Frauen die Meinungsfreiheit verinnerlicht und profitierten von neuen Freiheiten, die mit der Förderung feministischer Themen verbunden seien. Währenddessen sei die Denkweise junger Männer von der Popkultur beeinflusst oder von den Eltern geerbt, so die Expertin. «Dieser Unterschied führt zu einem gewissen Unbehagen, das wir alle während der Pubertät spüren können.»
Instrumentalisierung durch soziale Netzwerke
Auf Social Media entwickelten sich Inhalte, die das Unbehagen instrumentalisierten und den Feminismus sowie die Frauenrechte zum Sündenbock machten, analysiert Apostoly und hebt dabei insbesondere die Rolle der älteren Influencer hervor.
Sie verweist auch auf das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke mit seinem Algorithmus und den gewalttätigen Inhalten, die viral gehen und den Usern angeboten werden. Entsprechend suchten mehr Menschen nach den «gewalttätigsten, groteskesten» Inhalten, woraufhin die Algorithmen mehr solcher Inhalte anbieten.
Mangel an Bildung
Zudem verweist die französische Forscherin auf mangelhafte Kurse zur Sexual- und Gefühlserziehung in einigen Ländern. «Ich bin mir nicht sicher, ob junge Männer durch öffentliche Einrichtungen über die Gleichstellung der Geschlechter aufgeklärt werden.» Heutzutage werde diese Erziehung oft durch soziale Netzwerke vermittelt, sagt Alice Apostoly. Das habe zur Folge, «dass wir feindseligen oder frauenfeindlichen Menschen die Möglichkeit geben, diese Rolle zu übernehmen».
Von Frauenfeindlichkeit zu allgemeinem Hass
Besonders besorgt zeigt sie sich über den maskulinistischen Diskurs, dessen Begriffe zum Teil von politischen Persönlichkeiten aufgegriffen würden. Auch gebe es einen «Schneeballeffekt»: Zuerst würden Feministinnen dämonisiert, dann LGBT-Gemeinschaften und anschliessend werde gegen antirassistische Diskurse gewettert. «Die Unterstützung jeglicher Art von Hassreden führt zwangsläufig zu allgemeinen Hassreden», warnt Apostoly.
Welche Gegenmassnahmen gibt es?
Um die Verbreitung frauenfeindlicher Äusserungen im Internet zu bekämpfen, schlägt die Forscherin vor, die rechtlichen, politischen und finanziellen Mittel diesbezüglich auszubauen. Sie schlägt ausserdem vor, digitale multinationale Unternehmen zu regulieren, feministische und LGBTQI+-Vereinigungen zu unterstützen und zu schützen. Zudem müssten laut Apostoly die Menschen für maskulinistische Diskurse, aber auch für Fehlinformationen sensibilisiert werden.