Obszöne Bemerkungen, unsittliche Berührungen, sexuelle Erpressung oder gar das sogenannte «Recht der ersten Nacht» – all das erleben Studentinnen und Ärztinnen an Westschweizer Spitälern. In der RTS-Reportage «Temps présent» haben sie über ihre Erfahrungen gesprochen.
Das letzte Mal war vor vier Jahren. Es war äusserst demütigend.
Mehrere Umfragen, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden, bestätigen: Fast jede zweite Medizinstudentin ist sexueller Belästigung ausgesetzt. Das ist mehr als in anderen Ausbildungsbereichen.
Doch auch erfahrene Ärztinnen erleben Übergriffe. So wie Barbara Wildhaber, Chefärztin der Kinderchirurgie am Schweizerischen Kinderleberzentrum. In ihrem Bereich, der Chirurgie, trage auch das Umfeld dazu bei, dass es zu solchen Vorfällen kommt, sagt sie. In der Chirurgie müsse man schnell und entschlossen handeln, man müsse Entscheidungen treffen. Es sei eine Welt, in der es starke Leader benötige und das seien oft Männer, sagt Wildhaber.
Hinzu komme die Situation im Operationssaal. «Man steht eng nebeneinander. Man schwitzt. Es entstehen Emotionen und dann kommt es manchmal zu Grenzüberschreitungen.» Ob denn auch bei ihr Grenzen überschritten worden seien? Barbara Wildhaber macht eine Pause. «Ja, mehrmals.»
Ihr sei dies das letzte Mal vor vier Jahren passiert, und sie habe es verdrängt. «Ich habe drei solche Szenen im Kopf. Ich wurde ohne meine Zustimmung berührt, geküsst. Auch meine Chef-Position schützt mich nicht davor.» Wildhaber kämpft mit den Tränen. «Es war äusserst demütigend.»
Barbara Wildhaber über das, was sie erlebt hat
Oft wagen es die Opfer nicht, Anzeige zu erstatten, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Einige melden die Vorfälle der Personalabteilung, gehen damit aber Risiken ein. Laut den RTS-Recherchen haben diese Beschwerden kaum Folgen gehabt oder seien sogar ignoriert worden. Sanktionen gegen Täter bleiben selten, auch wenn es eine Null-Toleranz-Politik in den Spitälern gibt.
Wie alle Chirurgen entschied er, wer mit ihm zu Kongressen fahren durfte. Für eine Frau bedeutete dies bestimmte Dinge. Am Abend im Hotel musste man in sein Zimmer kommen. Und er drohte, die Karriere derjenigen zu zerstören, die sich beschweren und ihm schaden würden.
Stéphane Benoit-Godet, Leiter der Kommunikation des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) erklärt dazu: «Die Institution ist überzeugt, dass sie es besser machen kann, und zwar durch Prävention und Beschwerdeinstanzen.»
Aber laut David Raedler, Anwalt und Spezialist für Arbeitsrecht, ist es klar, «dass die Entscheidung, eine Person zu entlassen, die dem Krankenhaus Patienten bringt, die Know-how hat, die ein Image vermitteln kann, eine sehr schwierige Entscheidung für ein Spital ist».
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Die medizinischen Fakultäten sind sich des Problems bewusst und verstärken die Prävention. Sie bieten obligatorische Kurse für die Studierenden an, in denen beispielsweise Szenen durchgespielt werden, die sich ereignen können.
«Es tut mir leid, dass ich sie darauf vorbereiten muss, denn so was ist schrecklich», sagt Joëlle Schwartz, eine der Kursleiterinnen. «Am Schluss sage ich ihnen immer, dass ich hoffe, dass der Kurs nützlich war und wir die Werkzeuge künftig weniger brauchen werden. Und dennoch ist das im Moment die Realität.»