2012 veranlasste der Zustrom tunesischer Asylsuchender in die Schweiz die beiden Länder zur Unterzeichnung einer Absichtserklärung: der Grundstein für ein formelles Abkommen über die Zusammenarbeit im Migrationsbereich. Die Erklärung stützte sich auf zwei Säulen: Die Schweiz stimmte einem Austausch zur Ausbildung von jungen Fachkräften mit Kurzzeitvisa zu, Tunesien erklärte sich bereit, abgelehnte Asylsuchende wieder aufzunehmen.
Die Vereinbarung war eine Reaktion auf die zunehmende illegale Migration aus Tunesien nach dem Arabischen Frühling. Als Folge war der tunesische Staat nicht mehr in der Lage, seine Grenzen zu sichern. Diese bilateralen Migrationsabkommen waren nicht neu. Neben Tunesien hat die Schweiz sieben ähnliche Partnerschaften mit Bosnien und Herzegowina, Georgien, Kosovo, Nordmazedonien, Nigeria, Serbien und Sri Lanka. Weiter hat sie Rückübernahmeabkommen mit 52 Ländern und Berufsbildungsabkommen mit 14 Ländern abgeschlossen.
Diese Abkommen sind seit jeher umstritten. Da die Europäische Union ihre Grenzkontrollen zurzeit verschärft und ihre Migrationspolitik an Drittländer auslagert, sind sie es umso mehr.
Die Rückübernahme sei nichts anderes als «eine juristische Beschreibung dessen, was in Wirklichkeit eine erzwungene Abschiebung ist», sagt Majdi Karbai, Migrationsaktivist und ehemaliges Mitglied des tunesischen Parlaments.
«Win-Win» oder «Win-Lose?»
Mehr als zehn Jahre nach der Umsetzung des schweizerisch-tunesischen Abkommens zeigen die Zahlen eine widersprüchliche Bilanz der beiden Länder. Während die Rückübernahme und die Zahl der illegal eingereisten Tunesierinnen und Tunesier nach Angaben der Schweizer Behörden niedrig geblieben sind, hat Tunesien bisher wenig von der Ausbildung seiner jungen Bevölkerung profitiert.
Tunesien hat im Einvernehmen mit der Schweiz 451 Personen wieder aufgenommen, weitere 402 sind freiwillig zurückgekehrt, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) mitteilt.
Gemäss dem Abkommen übernimmt die Schweiz die Rückreisekosten mit einem kommerziellen Flug und stellt allen abgewiesenen Asylsuchenden einen nicht genannten Geldbetrag zur Verfügung, der es ihnen gemäss der Absichtserklärung ermöglicht, «günstige Bedingungen für ihre soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung zu schaffen».
Finanzierung von Erstanstellungen und Praktika
Der weniger umstrittene Aspekt des Abkommens, die Zulassung einer begrenzten Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte für einen limitierten Zeitraum, wirft aber Fragen auf. Profitiert Tunesien tatsächlich von diesen Programmen?
Im Abkommen zwischen den beiden Ländern ist klar festgehalten, dass die Schweiz junge Fachkräfte ausbildet, damit diese mit den neu erworbenen Fähigkeiten in ihr Heimatland zurückkehren. Pro Jahr sollen bis zu 150 junge Berufsleute in jedem Land von dem Programm profitieren können. Die Umsetzung der Programme hat sich jedoch als schwierig erwiesen, nur wenige haben von davon profitiert. Zwischen 2015 und 2023 nahmen gerade mal 174 Tunesierinnen und Tunesier an Ausbildungsprogrammen in der Schweiz teil. Währenddessen profitierte nur eine Person aus der Schweiz von ähnlichen Programmen in Tunesien.