Sogar im renommierten Büro der «Compagnie des Guides» in Chamonix merkt man es: «Uns rufen immer mehr Eltern an, die sich nach Hochgebirgsaktivitäten für ihre 15- bis 18-jährigen Kinder erkundigten», sagt Chef Didier Tiberghien. Die Vereinigung von Bergführerinnen und Bergführern hat angesichts der riesigen Nachfrage ihr Angebot aufgefrischt. «Wir haben unsere Website angepasst und zeigen dort nun auf, welche Aktivitäten es speziell für Minderjährige gibt».
Grund für den Andrang ist ein Video. Die Dokumentation «Kaizen» des Youtubers «Inoxtag» wurde innerhalb von 24 Stunden 15 Millionen Mal angeschaut. Mittlerweile liegt die Anzahl Klicks bei 38 Millionen. Der Film erzählt die Geschichte von Inès Benazzouz alias «Inoxtag», der die Gaming-Konsole hinter sich lässt und sich aufmacht, den Mount Everest zu besteigen.
Die Botschaft
Der Bergführer Mathis Dumas, der «Inoxtag» zum Gipfel des Everest begleitete, betont die Botschaft des Films: «Für uns war es wirklich wichtig, Menschen zu inspirieren, ihren eigenen Everest zu besteigen, egal ob sportlich oder nicht.»
Der Youtuber selbst formuliert es so: «Es geht nicht darum, der Beste zu sein, sondern darum, besser zu sein als man es gestern war.»
Die Auswirkungen
Wenig verwunderlich also, dass es nicht so sehr die sportliche Leistung ist, die viele Jugendliche am Film begeistert, sondern vielmehr die Idee, Handy und PC auszuschalten. Kiera, 17, die die Schule abgebrochen hat, findet: «Es hat mir die Augen geöffnet und ich habe mir gesagt, dass wir vielleicht unsere Handys beiseitelegen und mehr das geniessen sollten, was wir tatsächlich haben.»
Auch der 16-jährige Matteo hat die Schule abgebrochen und nimmt zusammen mit Kiera an einem dreitägigen Naturkurs teil. Beide versuchen so, wieder in den Alltag zurückzufinden. «Früher habe ich etwa 25 Stunden pro Woche vor dem Bildschirm verbracht. Jetzt sind es nur noch 12 bis 13 Stunden», sagt Matteo.
Bei Laetitia Bourquin, der Organisatorin des Naturkurses, stösst das auf Anklang: «Wenn ich sehe, welche Auswirkungen der Film auf junge Menschen hat, stehe ich dahinter. Ich finde diese Entwicklung ziemlich schön.»
Auch ausserhalb der klassischen Zielgruppe hat die Botschaft offenbar verfangen. Christina, eine 43-jährige Mutter aus der Nähe von Vevey, will nächsten Sommer einen 4000er besteigen. «Der Film hat mir gezeigt, dass alles möglich ist.»
Die Kritik
Doch obwohl die Begeisterung spürbar ist, bleiben einige skeptisch. «Das Bergsteigen muss man schrittweise erlernen, nicht in ein paar Wochen mit einem Bergführer», sagt ein Bewohner von Chamonix. «Aber leider sieht man in den sozialen Netzwerken immer mehr Jugendliche, die genau das wollen.»
Die Zukunft wird zeigen, ob das Ziel, über sich selbst hinauszuwachsen und vermehrt in die Natur zu gehen, nur ein vorübergehender Hype war. Fakt ist: «Inoxtag» hat es geschafft, viele Menschen für dieses Thema zu begeistern – weit über seine gewöhnliche Fangemeinde hinaus.