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Schweiz als Rückzugsort Wie sich ein flüchtiger Mafioso monatelang im Wallis versteckte

Ende Januar wurde ein flüchtiges Mafia-Mitglied in Sitten festgenommen. Die Hintergründe seiner Flucht und wie die italienische Mafia die Schweiz als Rückzugsort nutzt.

Die Festnahme von Oscar Pecorelli in Sitten blieb weitgehend unbeachtet. Dabei hätte das Profil dieses Mitglieds der neapolitanischen Mafia durchaus Besorgnis erregen können: Pecorelli gehörte dem Clan «Lo Russo» an, einem der mächtigsten und zugleich brutalsten Clans der Mafia-Organisation Camorra.

Laut einer Verfügung des Gerichts von Neapel und der regionalen Anti-Mafia-Behörde, die dem Westschweizer Fernsehen RTS vorliegt, wird Pecorelli unter anderem wegen Mordes, Erpressung, Körperverletzung, Bedrohung, illegalen Waffenbesitzes, Geldwäsche und Drogenhandels angeklagt.

Beginn der Flucht

Am 26. Juni vergangenen Jahres führte die italienische Polizei eine Razzia gegen den «Lo Russo»-Clan in mehreren Vierteln von Neapel durch. Rund dreissig Mitglieder wurden festgenommen, Pecorelli jedoch entkam.

Nach Informationen von RTS fanden die Ermittler bald Hinweise auf eine Flucht in die Schweiz. Anfang Juli erliess das Gericht in Neapel einen europäischen Haftbefehl, der an das Bundesamt für Justiz (BJ) übermittelt wurde.


Rekonstruktionen zufolge reiste Pecorelli mit falschen Identitätspapieren zunächst nach Turin, dann über Aosta und Martigny mit Zug und Bus nach Sitten.

Fast sieben Monate im Wallis

In der Walliser Hauptstadt lebte Pecorelli allein und arbeitete in einem Restaurant. Er pflegte Kontakte zu örtlichen Italienern. Fast sieben Monate verliefen für den Flüchtigen ohne Zwischenfälle. Am 24. Januar dieses Jahres schliesslich wurde er von der Kantonspolizei Wallis festgenommen.

Schloss beleuchtet auf zwei Hügeln bei Dämmerung.
Legende: In der Walliser Hauptstadt lebte der Mafiosi allein und arbeitete in einem Restaurant. Keystone/GAETAN BALLY

Laut dem BJ wurde Pecorelli am 30. Januar an Italien übergeben. Damit sei das Auslieferungsverfahren abgeschlossen.

Nun stellt sich die Frage, ob Pecorelli Unterstützung hatte, um ins Wallis zu gelangen und dort leben und arbeiten zu können. Nach RTS-Informationen wurden die Personen, mit denen er in Sitten Kontakt hatte, von der Polizei überprüft und vernommen.

Weder die Walliser Staatsanwaltschaft noch die Bundesanwaltschaft wollten Angaben dazu machen, ob Komplizen identifiziert wurden. Laut Informationen, die RTS vorliegen, hat die Festnahme von Pecorelli bislang zu keinen weiteren Verhaftungen im Wallis oder anderswo in der Schweiz geführt.

Gegenüber RTS erklärt die unabhängige Journalistin Madeleine Rossi, die die Recherche gemeinsam mit RTS durchführte, dass der «Lo Russo»-Clan, der zur neapolitanischen Camorra gehört, «brutale Fraktionskämpfe mit anderen Clans führt, um die Kontrolle über mehrere Viertel in Neapel zu übernehmen.»

Das Wallis gehört zu den am stärksten von der Mafia unterwanderten Kantonen.
Autor: Madeleine Rossi Journalistin

Oscar Pecorelli gehörte «zum harten Kern» des «Lo Russo»-Clans. «Er ist eine äusserst gefährliche Person, die in Neapel zahlreiche Gewalttaten verübt hat». Laut Rosssi sei es nicht überraschend, dass Pecorelli die Schweiz als Zielort gewählt habe.

«Das Wallis gehört mit dem Tessin und Graubünden zu den am stärksten von der Mafia unterwanderten Kantonen», sagt Rossi. Im Wallis sei die 'Ndrangheta (kalabrische Mafia) stark vertreten, ausserdem die neapolitanische Camorra sowie die sizilianische Cosa Nostra in geringerem Masse.

Der Kanton stelle für italienische Flüchtige ein «leicht zugängliches und schnell erreichbares Einfallstor» dar.

RTS Forum, 9.2.2025, 18 Uhr

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