Im November 2023 wird das Leben von Yuri (Name geändert) auf den Kopf gestellt. Unter Druck unterschreibt er auf einer Polizeistation einen Vertrag, um der russischen Armee beizutreten. Ihm wird eine Prämie von 15'000 Franken versprochen, weit mehr als ein durchschnittliches russisches Jahresgehalt, sowie das Versprechen, nicht an der Front kämpfen zu müssen.
Die Realität sieht dann jedoch anders aus. «Als ich vor Ort ankam, wurde ich der Angriffseinheit zugeteilt. Da ich mich weigerte, an den Operationen teilzunehmen, wurde ich in die Gruppe eingeteilt, die für die Bergung der Verwundeten und Toten auf dem Schlachtfeld zuständig war», erzählt er.
Mir wurde schnell klar, dass ich hier niemals lebend rauskommen würde.
Als Yuri zu seiner Einheit stiess, waren es 250 Mann. Einen Monat später hatten nur etwa dreissig überlebt. Der 25-Jährige erzählt: «Mir wurde schnell klar, dass ich dort nicht lebend herauskommen würde. Um einen Verwundeten, der keine Chance hatte, nicht leiden zu lassen, töteten wir ihn manchmal an Ort und Stelle, damit seine Eltern eine Entschädigung erhielten.»
Der Moment, in dem sich für Yuri alles änderte
Im vergangenen Frühjahr warf eine ukrainische Drohne eine Granate weniger als zwei Meter neben ihm ab und verletzte ihn schwer. In dem Moment dachte Yuri, er würde sterben. Er wurde in verschiedene russische Spitäler gebracht und verbrachte dort lange Zeit.
Als er herauskam, entschied er, nicht an die Front zurückzukehren. «Ich habe keine patriotischen Gefühle gegenüber Putin. Er ist ein Sadist, ein Mörder, der viele Menschen grundlos getötet hat. Warum also kämpfen? Aus welchem Grund?», fragt er sich bis heute.
Um zu fliehen, nimmt Yuri Kontakt zu «Idite lesom» auf. Die Organisation bietet Deserteuren logistische Unterstützung und kommuniziert mit ihnen über das Netzwerk Telegram. Grigory Sverdlin, Gründer der in Georgien ansässigen NGO, berichtet, dass sie durchschnittlich 200 Anfragen pro Monat erhalten.
Ermüdung und Verwirrung bei den russischen Truppen
«Wir planen ihre Reiseroute bis ins Detail, einschliesslich der Frage, wo und wann sie ihre Uniformen wechseln und mit welchen Verkehrsmitteln sie zur Grenze gelangen. Natürlich gibt es indoktrinierte Menschen, die an die Existenz von Nazis in der Ukraine glauben, aber die meisten von ihnen sind ganz normale Menschen», erklärt Sverdlin.
Viele verstehen nicht, warum sie gegen die Ukraine kämpfen.
Er beobachte eine grosse Müdigkeit und Verwirrung unter den russischen Soldaten. «Viele verstehen nicht, warum sie dort sind oder warum sie gegen die Ukraine kämpfen.»
Sverdlin hat bisher mehr als eintausend Menschen geholfen. Ukrainischen Quellen zufolge gibt es in der russischen Armee über 18'000 Deserteure. Die Gesamtzahl der russischen Soldaten wird auf über eine Million geschätzt.