Darum geht es: Vor einer Woche sind ukrainische Truppen überraschend in die russische Region Kursk vorgestossen. Laut Medienberichten ist es der bedeutendste Vorstoss der Ukraine seit Kriegsbeginn. Die Lage ist unübersichtlich. Zehntausende Menschen sollen aus dem russischen Gebiet geflüchtet oder evakuiert worden sein. Am Wochenende äusserte sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski erstmals zum Angriff und sprach von einer längst fälligen «Gegenreaktion» nach über 2000 russischen Artillerie-, Granaten- und Drohnenangriffen aus der Region Kursk in diesem Sommer.
Das ist bisher bekannt: Videoaufnahmen zeigen, wie ukrainische Truppen bis zu 30 Kilometer tief auf russisches Staatsgebiet eingedrungen sind. Inwieweit die Ukraine das Gebiet tatsächlich kontrolliert und ob sie es künftig auch halten kann, ist offen, wie ARD-Korrespondentin Rebecca Barth in Kiew erklärt. Denn dazu müsste die Ukraine relativ grosse Reserven bereitstellen können, die nach heutigen Kenntnisstand knapp sind. Gleichzeitig überwiegt der Eindruck, dass die Operation in Kursk lange und professionell geplant wurde und Erfolg haben könnte.
Das Ziel von Selenski: Die von Präsident Wolodimir Selenski als Gegenreaktion angepriesene Operation löst bei der ukrainischen Bevölkerung eine gewisse Genugtuung aus, wie Barth erklärt. Die Moral der nach zweieinhalb Jahren Krieg erschöpften Bevölkerung ist gestärkt worden. Gleichzeitig soll Aggressor Putin ein Stück blamiert werden, indem erstmals ukrainische Verbände mit Bodentruppen und teilweise schwerer westlicher Militärtechnik auf russisches Staatsgebiet vorrücken. «Den Menschen ist es zurzeit sehr wichtig, dass die westlichen Partner sehen, wie die Ukraine zurückschlagen kann», sagt Barth.
Die Risiken: Die Ukraine geht mit dem Vorstoss auf russisches Terrain aber auch grosse Risiken ein. Ist er erfolgreich, kann Kiew den Druck auf den Donbas vielleicht etwas mildern. Wenn es schiefgeht, könnte die Aktion zu einer grossen politischen Krise für Präsident Selenski werden. Militärfachleute kritisieren denn auch zum Teil, die Ukraine schwäche sich selbst, weil nun Truppen an der Front im Donbas fehlten. Entsprechende Stimmen von dort stationierten Soldaten gibt es ebenfalls. Sie haben seit Monaten mit komplizierten Operationen und teils auch Rückzügen zu kämpfen. Verschiedentlich wird auf ukrainischer Seite von hohen Verlusten und vielen Verletzten berichtet.