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Westschweiz Klagen über Missstände in Kinderkrippen haben deutlich zugenommen

In der Westschweiz haben sich die Meldungen über Fehlleistungen in Kinderkrippen in sechs Jahren fast verdreifacht. Eltern und Betreuerinnen beklagen sich, dass Vorschriften nicht eingehalten und damit Kinder gefährdet werden.

Viermal pro Woche bringt Jeanne ihren Sohn in die Kindertagesstätte. Sie ging immer davon aus, dass dieser Ort sicher ist. Bis sie eines Tages einen Telefonanruf erhielt: Eine Betreuerin teilte ihr mit, der Bub habe einen anaphylaktischen Schock erlitten, nachdem er ein Joghurt gegessen hatte.

Jeannes Sohn ist laktoseintolerant. Die Kindertagesstätte war darüber informiert. Leider hatte sich eine Betreuerin, die für eine andere eingesprungen war, nicht daran gehalten. Aus Jeannes Sicht wäre der Vorfall vermeidbar gewesen: «Die Betreuer und Betreuerinnen arbeiten am Limit.»

Erläuterungen zum Thema in der RTS-Sendung Mise au point:

Dieser Erfahrungsbericht ist kein Einzelfall. Zwischen 2018 und 2024 haben sich in der Westschweiz die Meldungen über Misshandlung oder Vernachlässigung in Kindertagesstätten fast verdreifacht. In Genf stieg die Zahl von 11 auf 47 Meldungen. Auch in Neuenburg und im Wallis ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen.

Im Kanton Waadt war die Zahl der Meldungen 2023 auf 34 gestiegen, bevor sie im folgenden Jahr wieder zurückging. Laut dem kantonalen Dienst für Tagesbetreuung von Kindern ging es in mehr als 50 Prozent dieser Meldungen um Misshandlung, bei den übrigen um die Nichteinhaltung von Sicherheits- und Betreuungsvorschriften.

Kinder beim Spielen in einer Kindertagesstätte in Bern
Legende: Kinder beim Spielen in einer Kindertagesstätte in Bern Keystone / Christian Beutler

Das Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) konnte Dutzende anonymisierte Meldungen einsehen, die von Angestellten oder Eltern verfasst worden waren. Darunter findet sich beispielsweise der Fall eines Babys, das von einer Betreuerin «ganz allein im Dunkeln» in einem geschlossenen Raum gelassen wurde. Oder es gab Teams von Fachkräften, die geschlossen kündigten, um gegen die Betreuungsbedingungen zu protestieren.

Erschütternde Zeugnisse

Um das Ausmass der Missstände zu bewerten und problematische Kindertagesstätten zu finden, hat RTS in den sozialen Medien einen Aufruf lanciert. Innert weniger Tage antworteten über 50 Personen, hauptsächlich Betreuerinnen.

«In meiner früheren Kinderkrippe gab es Misshandlungen. Unruhige Kinder wurden eingesperrt. Kleinkinder wurden gezwungen, den Mund zu öffnen und zu essen. Ich habe gekündigt», berichtet eine Betreuerin aus Neuenburg. «Innerhalb von vier Monaten haben sechs von uns gekündigt oder wurden entlassen», sagt eine andere Betreuerin aus Freiburg. Sie berichtet auch davon, dass «versehentlich abgelaufenes Milchpulver oder Joghurt an Kinder verabreicht» wurde.

Durchwegs wird davon berichtet, dass die Vorschriften in Bezug auf die Zahl der Betreuungspersonen nicht eingehalten werden. Das Gesetz schreibt ein striktes Verhältnis von einer Fachkraft pro fünf Babys unter einem Jahr vor. Bei Kindern zwischen einem und vier Jahren variiert dieser Schlüssel je nach Kanton zwischen einem Erwachsenen pro sechs bis zehn Kinder.

Doch die Zeugenaussagen beschreiben eine ganz andere Realität. «Oft gibt es nur eine ausgebildete Betreuerin in der Krippe. In den Gruppen sind es ausschliesslich Hilfskräfte. Das ist verboten, aber es ist die Realität vor Ort», berichtet eine Betreuerin aus der Waadt.

Die Fluktuationsrate des Betreuungspersonals beträgt im Durchschnitt 30 Prozent pro Jahr – dreimal so viel wie in anderen Berufen. Das ergab eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Dachverbands der Kinderbetreuung. Diese Instabilität erhöht das Risiko, dass es zu Fehlern kommt.

RTS, Mise au point, 6.4.2025, 20:10 Uhr; sten

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