Die Schweiz wird wohl schon bald über eine Ehe für alle abstimmen. Heute wurden über 59'000 beglaubigte Unterschriften gegen das Gesetz eingereicht. Für das Referendumskomitee ist die Ehe die natürliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, die es zu schützen gelte.
Wofür steht die Institution Ehe heute? Für was stand sie früher? Antworten von der Rechtswissenschaftlerin Andrea Büchler.
SRF News: Die Ehe ist ja eine Kombination aus Liebe und Gesetz. Wie stark hat sich die Gewichtung dieser beiden Faktoren über die Jahre verschoben?
Andrea Büchler: Vor allem die Gründe für eine Eheschliessung haben sich über die Jahrhunderte verändert. Liebe ist persönlich, ist chaotisch, ist vielleicht auch Augenblick. Gesetz oder Institution hingegen ist Ordnung, ist auf Dauer angelegt, ist auch öffentlich. Wir kennen in unseren Breitengraden heute mehrheitlich die Liebesheirat.
Die Gründe für eine Ehe haben sich verändert. Wie zeigt sich das im Recht?
Die Ehe hat ihre stark institutionelle Prägung zum Beispiel dadurch verloren, dass heute eine Scheidung unabhängig vom Verschulden möglich ist, auch gegen den Willen des anderen Ehegatten. Dann gibt es keine vorgegebene Rollenverteilung mehr: Die Ehegatten vereinbaren die Art und Weise, wie sie gemeinsam leben wollen.
In verschiedensten Bereichen wurden nicht verheirateten Paaren gewisse Zugänge ermöglicht.
Die Kinder aus nicht ehelichen Verhältnissen wurden den Kindern verheirateter Eltern gleichgestellt. Erst kürzlich wurde diesbezüglich auch der zivilstandsunabhängige Betreuungsunterhalt eingeführt. Zudem wurden in verschiedensten Bereichen auch nicht verheirateten Paaren gewisse Zugänge ermöglicht. So gibt es zum Beispiel seit kurzem die Stiefkindadoption auch für nicht verheiratete Paare.
Wenn all diese rechtlichen Bewegungen in die gleiche Richtung laufen: Warum braucht es die Ehe als staatliche Institution überhaupt noch?
Das ist eine gute Frage. Die Ehe hat eine lange Geschichte, ist tief in unserer Kultur verankert. Paare geben auch ganz verschiedene Gründe an, weshalb sie heiraten. Im Zentrum steht das Versprechen, füreinander zu sorgen, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Aber natürlich: Heiraten ist heute keine Notwendigkeit mehr.
Die Gegner einer Ehe für alle wollen die Ehe schützen. Die Befürworter wollen die Ehe stärken. Eigentlich wollen also alle die Ehe. Überrascht Sie das?
Ja, man könnte tatsächlich sagen, dass diese Bemühungen um die Ehe für alle die Ehe wieder aufwerten würden. Es wird ja niemandem etwas weggenommen. Die Ehe wird zusätzlich geöffnet für gleichgeschlechtliche Paare. Die Ehe für alle ist ganz klar ein Postulat der Antidiskriminierung.
Was gäbe es für Alternativen?
In der Diskussion wird immer wieder die Frage aufgebracht, ob es die staatliche Institution der Ehe überhaupt noch braucht und wie sich die Privilegierung der Ehe gegenüber anderen Formen noch rechtfertigen lässt. Wir haben ja heute ja eine Vielfalt von Lebensformen. Man diskutiert alternative Regelungen, die an andere Dinge als die Ehe anknüpfen, etwa an die Tatsache, dass Menschen zusammenleben oder gemeinsam Kinder haben.
Es gibt natürlich Regelungsbedarf, wenn Menschen zusammenleben.
Denn es gibt natürlich Regelungsbedarf, wenn Menschen zusammenleben. Denken Sie an die Beziehungsnetze der Kinder, die abgesichert werden müssen. Es gibt vermögensrechtliche Dinge, die einer Regelung zugeführt werden müssen. Das ist unbestritten. Die Frage ist nur: Woran knüpft man diese? Es gibt eine relativ rege internationale Auseinandersetzung darüber, was ein Familienrecht heute leisten kann und soll angesichts einer Vielfalt von Lebensweisen und Familienformen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.