Ab und zu ein Glas Wein – das ist gesund. Diese Erzählung hält sich hartnäckig. Eine neue Untersuchung aus Grossbritannien kommt nun aber zum gegenteiligen Schluss: Auch moderater Alkoholkonsum sei schädlich, warnen die Forschenden im medizinischen Fachjournal «Jama Network Open».
Demnach sei das Krebsrisiko schon beim regelmässigen Konsum von kleinen Mengen Alkohol erhöht. Der Befund trifft laut den Forschenden bei Menschen zu, die zusätzlich von sozio-ökonomischen und gesundheitlichen Risikofaktoren betroffen sind.
Wann wird der Alkoholkonsum riskant?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht sich durch die neue Studie bestätigt. Diese belege, dass kein Level des Alkoholkonsums sicher sei. Die Studie wurde unter rund 130'000 alkoholtrinkenden Personen über eine Periode von zwölf Jahren durchgeführt. Gegenüber SRF News spricht Markus Meury von «Sucht Schweiz» von einer wissenschaftlich fundierten Untersuchung: «Sie bestätigt, dass auch moderater Alkoholkonsum einen eher negativen Effekt auf die Gesundheit hat.»
Risikofreien Alkoholkonsum gibt es nicht.
Ist also jeder Tropfen Alkohol ein Tropfen zu viel? Ganz so simpel ist es nicht, wie Meury ausführt. Moderater Alkoholkonsum könne nämlich gegen Herzprobleme und Diabetes helfen. Gleichzeitig erhöhe sich aber das Risiko, an Krebs oder anderen Krankheiten zu erkranken.
Laut dem Suchtexperten halten sich negative und positive Effekte des Alkoholkonsums bis zu einem halben Glas pro Tag die Waage. Dann aber nehmen die negativen Auswirkungen Überhand. Das ernüchternde Fazit: «Risikofreien Alkoholkonsum gibt es nicht.»
Eine klassische Risikoabwägung
Schon Erich Kästner wusste: Leben ist lebensgefährlich. Und ein guter Wein macht es immerhin schöner, oder? Wer ab und zu ein Glas Merlot oder Brunello geniessen möchte, kann dies mit gutem Gewissen tun. «Das schadet dann schon nicht so gross», sagt Meury. Das Prädikat «gesund» verdient moderater Alkoholkonsum jedoch nicht – auch wenn Studien aus den 1980er- und 1990er-Jahren etwas anderes behaupten.
Die Studien seien aber mitunter methodisch fragwürdig gewesen, sagt Meury. Dazu erweiterte die neuste Forschung den Blick auf Krebs und weitere Erkrankungen – und ortete hier erhöhte Risiken. Dass sich der Mythos vom gesunden Gläschen so lange gehalten hat, hat jedoch auch mit Wunschdenken zu tun.
Ausgang, Familienfeste, das Apéro und Feierabendbier: Der Alkoholkonsum ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft. «Wir glauben natürlich lieber, dass Alkohol in gewissen Massen gesund ist, statt der Realität ins Auge zu schauen», sagt Meury. «Für viele Menschen ist Alkohol auch ein Fluchtpunkt, um sich vom Alltagsstress auszuklinken. Das lässt man sich nicht so schnell nehmen.»
Plädoyer für aufgeklärten Konsum
Trinkempfehlungen wie vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) werden denn auch oft als Bevormundung wahrgenommen. Für «Sucht Schweiz» geht es aber letztlich darum, die Menschen zu sensibilisieren. «Wir empfehlen einen möglichst moderaten Umgang mit Alkohol», sagt Meury. «Jeder darf trinken, wenn er das möchte. Man sollte sich aber bewusst sein, wie viel man trinken will und welches Risiko man damit eingeht.»
Die Losung: Den eigenen Konsum reflektieren – und das auf Grundlage von Informationen, die dem aktuellen Erkenntnisstand entsprechen. Im Wissen darum, dass die Angst vor unbequemen Wahrheiten unser Bewusstsein trüben kann. Genauso wie der Alkohol selbst.