Dominic Fritz’ Liebe zu Timisoara war zuerst eine Affäre: Jahrelang kam der Deutsche immer wieder in die drittgrösste rumänische Stadt, um einen Gospelchor zu leiten. Seine Liebe zu Timisoara begann früh.
Fritz war 19, als er, der gläubige Christ mit sieben Geschwistern aus dem süddeutschen Lörrach, eine Zeit lang Gutes tun wollte – und zum ersten Mal im westrumänischen Timisoara landete, aushalf in einem Kinderheim.
Die Liebe zu Timisoara blieb. Zurück in Deutschland studierte Dominic Fritz Politikwissenschaft, arbeitete für den damaligen deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler – und lernte nebenbei fast perfekt Rumänisch.
Schmelztiegel seit Menschengedenken
Fritz sagt, er liebe an Timisoara vor allem die Vielstimmigkeit. In der Stadt leben seit Menschengedenken Rumänen, Ungarinnen, Deutsche, Serbinnen, Bulgaren friedlich zusammen. Vor etwas mehr als hundert Jahren sprachen die meisten Menschen in Timisoara Deutsch, damals gab es Rumänien als Staat noch nicht, die Stadt gehörte zu Österreich Ungarn. «Dieser Schmelztiegel hat mich fasziniert», sagt Dominic Fritz. «Deshalb wollte ich Bürgermeister von Timisoara werden.»
Gewählt wurde er dann 2020, mit 37 – obwohl er nicht rumänischer Staatsbürger ist, keine rumänischen Vorfahren hat. In der Europäischen Union ist das möglich. Viele wünschten sich einen Machtwechsel im Rathaus, Fritz' Vorgänger galt als selbstherrlich und korrupt.
Der Beginn vom Ende des Kommunismus
«Timisoara hat 30 Jahre nach der Wende das Ende des Kommunismus besiegelt», rief der neue blonde und blauäugige Bürgermeister der Menge nach der Wahl zu. Das Ende des rumänischen Kommunismus begann auch in Timisoara. Die Menschen hier waren die ersten, die 1989 in Rumänien gegen die Diktatur demonstrierten.
Zehn Tage später war es vorbei mit Rumäniens kommunistischem Diktator Nicolae Ceausescu. Dessen ehemalige Getreue regierten das Land allerdings weiterhin, auch wenn sie sich nun nicht mehr Kommunisten nannten, sondern Sozialisten. Bis heute dominieren die Postkommunisten und andere alte Parteien Rumänien. Und mit ihnen Korruption und Vetternwirtschaft.
Dann entstand die «Union zur Rettung Rumäniens». In dieser Partei taten sich einige der zahlreichen jungen Rumäninnen und Rumänen zusammen, die viel wissen und können, die oft im Ausland studiert und gearbeitet haben und die ein Rumänien wollen ohne Bestechungsgelder, ohne Machtmissbrauch. Die neue Partei wurde schnell beliebt, regierte Rumänien bald mit – Dominic Fritz ist Teil dieser «Union zur Rettung Rumäniens».
Korruption rund um Krippenplätze
Wir besuchen den Bürgermeister nach einem Jahr im Amt. Dominic Fritz sitzt allein im Sitzungszimmer des Rathauses. Er weiss, dass er vor der Wahl vor einem Jahr viel versprochen hat. «Ich muss praktisch alles verändern», sagt er. Zwei Dinge sind entscheidend: Schluss mit Korruption. Und eine Stadtverwaltung, die funktioniert.
Zwei schwierige Aufgaben, zumal die Menschen wenig Geduld haben. «Für viele bin ich eine Art Lokalbaron. Sie sprechen mich auf der Strasse an und fragen nach einem Job, einer Wohnung.» Lokalbarone dominieren in Rumänien auch 30 Jahre nach dem Ende des Kommunismus die Politik. Lokalbarone, die dafür, dass man sie gewählt hat, Geld abzweigen, Geschenke verteilen. Sie sind die Bürgermeister und Landkreischefs der grossen Parteien.
Das verhindert, dass sich Rumänien als Ganzes besser entwickelt. Und dagegen will Dominic Fritz etwas tun. Zum Beispiel bei der Vergabe der Krippenplätze. Früher lief das so: Eigentlich musste man sich zentral bei der Stadt anstellen und die Plätze wurden der Reihe nach vergeben.
Wer aber Beziehungen hatte, wer jemanden bestechen konnte, der kam schneller dran. Deshalb verlegte Fritz die Vergabe von Krippenplätzen ins Internet, einsehbar und nachvollziehbar für alle.
Konkurrenz aus der Privatwirtschaft
Problem Korruption gelöst? So einfach ist es nicht. Der Bürgermeister hat auf diese Art auch Leute in der Verwaltung verärgert, Leute, die bisher illegal Geld einsteckten fürs Besorgen von Krippenplätzen.
Sie hintertreiben jetzt die Arbeit ihres Chefs. Zum Beispiel erscheinen viele Beamte, die sich Fritz' Vorgänger zurückwünschen, einfach nicht mehr zur Arbeit – und Beamten kann man kaum kündigen in Rumänien. Das ist das ein Problem.
Das andere ist, dass Fritz die Verwaltung nicht flächendeckend verbessern kann mit mehr Internet. Ihm fehlt das Personal. «Ich habe hier kaum zwei Leute, die mir ein Kabel in den Computer stecken können», sagt er. Die meisten guten Leute arbeiteten in der Privatwirtschaft, weil sie dort mehr verdienten.
Stempel, Papier, Bürokratie
Die Privatwirtschaft gedeiht in Timisoara, besonders die Informatik-Branche, es gibt wenig Arbeitslose. Die Wirtschaft leidet aber unter der schlechten Stadtverwaltung. Zum Beispiel die Firma Netex im modernen Würfelhaus am Stadtrand.
Netex bietet alles, was Online-Geschäfte brauchen, von der Buchhaltung bis zum Kundendienst. Die Firma wurde gegründet von zwei Rumäniendeutschen. Sie wächst.
Wäre da nur nicht die Stadtverwaltung, sagt Geschäftsführer Leo Frumuzache: «Es ist alles sehr langsam, kompliziert, man braucht viel Geduld und Papier.» Einen halben Tag Schlange stehen für einen Stempel – dafür muss Leo Frumuzache extra Leute anstellen.
Und bis jetzt habe der neue Bürgermeister die Lage nicht verbessert. «Das liegt auch daran, dass ihm Leute Steine in den Weg legen, die eigentlich seine Verbündeten sein sollten. Sie gönnen ihm keinen Erfolg, weil sie nicht wollen, dass er wiedergewählt wird.»
Ernüchterung nach zwei Jahren im Amt
Als wir ihn zum zweiten Mal besuchen, ist Dominic Fritz seit zwei Jahren Bürgermeister von Timisoara. In seinem zweiten Amtsjahr hatte er viel Pech. Zehntausende Menschen waren im Winter eine Woche lang ohne Heizung, sogar in Spitälern und Schulen.
Die Heizkörper waren kalt, weil die städtische Wärmeversorgung ihre Rechnungen seit Langem nicht mehr bezahlt hatte und deshalb keine Energie mehr geliefert bekam. Auch dahinter stecken Korruption und schlechte Verwaltung. Frühere Bürgermeister hatten die Wärmeversorgung finanziell ausgenommen, auch um Geschenke an die Wählerschaft zu bezahlen, hatten Instandhaltung und Schuldenabbau vernachlässigt.
Das zweite grosse Pech für Dominic Fritz ist, dass seine «Union zur Rettung Rumäniens» das Land inzwischen nicht mehr mitregiert. Dominic Fritz' unverbrauchte Partei, die angetreten war gegen Korruption und Misswirtschaft, hat die Macht an die Postkommunisten verloren. Sie ist mitschuldig, hatte sich in Machtkämpfen verheddert. Ohne die «Union zur Rettung Rumäniens» sind die alten Parteien wieder unter sich.
Bürgermeister ohne Verbündete
Für Dominic Fritz heisst das: Er hat keine Verbündeten mehr in Bukarest. Seine politischen Gegner in der rumänischen Hauptstadt lassen ihn das spüren. Tagelang half die Landesregierung den Frierenden in Timisoara nicht, schickte keinen Notkredit.
Als wir Dominic Fritz wiedersehen, humpelt er uns entgegen. Falsch aufgetreten sei er beim Sonntagsspaziergang, Fuss verstaucht, eine Schiene am Bein. Er klingt, verglichen mit vor einem Jahr, ernüchtert. «Bei den hohen Erwartungen ist es ja klar, dass alle unzufrieden sind», sagt er. Er sei ja selber auch unzufrieden. Er habe nie gesagt, nach zwei Jahren sei alles erledigt.
Trotzdem ist er weiterhin zuversichtlich. Er sagt, er sei seinem Versprechen nähergekommen, die Verwaltung zu verbessern: «Ich bin stolz darauf, dass die alten korrupten Dinosaurier die Stadtverwaltung inzwischen verlassen haben.» Einige hat er versetzt, anderen hat er besonders viel Arbeit aufgebürdet – bis sie gekündigt haben.
Gerade in dem Moment, in dem wir mit Fritz sprechen, entlassen seine Leute den Chef der städtischen Märkte. «Seit Monaten habe ich Hinweise darauf, dass er einen Teil der Miete für die Marktstände für sich behält.»
Wie vor einem Jahr treffen wir Leo Frumuzache, den Geschäftsführer der Informatikfirma Netex, dieses Mal in einem schicken Strassencafé. Netex wächst weiter – und der Geschäftsführer ist nun auch mit der Stadtverwaltung ziemlich zufrieden. Vieles könne man neu vom Computer aus machen, Stempel brauche es kaum noch. «Es ging sehr schnell und das ist positiv.»
Einiges ist besser geworden in Timisoara, anderes noch nicht. Dominic Fritz will in zwei Jahren auf jeden Fall noch einmal kandidieren. Obwohl ihm die Arbeit viel abverlangt, zumal er in seiner Amtszeit Vater geworden ist. Er sagt, er brauche mehr Zeit, um alle seine Versprechen zu halten.
Ob er Chancen hat, ist offen. Rumäniens politische Gepflogenheiten halten sich hartnäckig, wollen es immer noch, dass, wer an der Macht ist, zuerst sich und die Seinen bereichert.
Neue Generation für ein neues Rumänien
Verändern können das am ehesten Auswärtige – nicht bloss Ausländer wie Fritz, sondern auch die vielen jüngeren Rumäninnen und Rumänen, die im Ausland ein besser funktionierendes Zusammenleben kennengelernt haben.
Einige kommen zurück nach Rumänien und versuchen, es zu Hause ebenfalls anders zu machen. Noch sind sie nicht zahlreich genug, um etwas zu bewirken. Sie könnten es aber werden. Dominic Fritz mag im Moment zu isoliert sein, die junge Generation als Ganzes hat Chancen, eines Tages die Geschicke Rumäniens zu verändern.