Zum Mittagessen gibt es bei Simon Corchia 300 Gramm Hackfleisch mit Raclettekäse, rohes Herz und Leber, Joghurt, ein Glas Rohmilch und ein paar Apfelschnitze. Seit er sich hauptsächlich von Fleisch ernähre, fühle er sich fit und voller Energie, sagt er.
Er ernährt sich seit rund neun Monaten «carnivore». Strikte Anhänger der Diät essen fast ausschliesslich tierische Produkte. Simon erlaubt sich Früchte. Gemüse gibt es bei ihm aber nie. «Pflanzen möchten nicht gegessen werden», begründet Simon den Entscheid. Deshalb würde Gemüse Antinährstoffe produzieren, die dem Körper nicht guttun würden.
Inspiriert durch soziale Medien
Mit dieser Theorie ist er nicht alleine. Auch bekanntere Influencer aus der «Carnivore-Community» vertreten die Ansicht, dass Gemüse giftig für den Körper sei. Eine Aussage, die wissenschaftlich nicht verifizierbar ist.
Seine Informationen zu diesem Ernährungsstil holt sich Simon von Influencern mit mehreren 100’000 Followern wie den US-Amerikanern Paul Saladino oder Shawn Baker. Letzterer hat ein Buch über die Carnivore-Diät geschrieben und sie ab 2018 populär gemacht.
Mittlerweile hat der Hashtag #carnivorediet auf Tiktok über 53 Millionen Posts. Einige aus dieser Community vertreten ein klares Bild von Männlichkeit. Ihre Botschaft: So wird man zu einem richtigen Mann, zu einem muskulösen, potenten Alphatier.
Fleischkonsum als politischer Akt?
Verschiedene englischsprachige Medien haben zudem über Verbindungen zwischen einigen Anhängern der Diät und konservativen oder Alt-Right-Communitys berichtet. Sie würden ihren hohen Fleischkonsum als politischen Akt gegen Linke und Liberale sehen, die sich unter anderem vegetarisch ernähren und sich gegen den Klimawandel einsetzen.
So schrieb «The Daily Beast»: «Fleisch wird zum nächsten stellvertretenden Schlachtfeld in einem Kulturkrieg zwischen links und rechts.» Für Simon habe seine Ernährung aber nichts Politisches: «Ich strebe nach Gesundheit und nicht gegen eine politische Meinung.»
In Carnivore-Gruppen auf Facebook berichten Menschen, dass sie Gewicht verloren hätten und sich körperlich und psychisch besser fühlen würden. «Einzelfälle sind immer gefährlich», so Philipp Schütz, Chefarzt für Innere Medizin und Endokrinologie, Kantonsspital Aarau.
Er kenne einige Erfolgsstorys von Anhängern extremer Diäten. Alleine der Faktor, dass man sich auf ein solches Thema einlasse und es eine Community von Leuten gebe, die einen darin bestärkten, mache einen Unterschied. «Das alles generiert positive Emotionen, die einen Einfluss auf das Gesundheitsgefühl haben», führt er aus.
Dem Körper werden so wichtige Vitamine und Nährstoffe vorenthalten.
Simon lässt den Chefarzt einen Blick auf seine Blutwerte werfen. Gemäss Schütz sind diese in Ordnung. Bis auf die Cholesterinwerte, diese seien erhöht und könnten auf hohen Fleischkonsum zurückzuführen sein. «Das Risiko, dass in 20 bis 30 Jahren Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder ein Schlaganfall auftreten, sind dadurch erhöht», sagt Schütz. Weiter kritisiert er eine rein carnivore Diät als zu einseitig: «Dem Körper werden so wichtige Vitamine und Nährstoffe vorenthalten.»
Für Simon ist aber auch nach dem Arztbesuch klar, dass Fleisch seine Hauptzutat bleiben wird: «Bis jetzt kann ich sagen, dass diese Ernährung mir guttut. Schlussendlich muss jeder für sich selbst schauen.»