Die österreichische Studentin Marlene Engelhorn erbt einen zweistelligen Millionenbetrag. Sie stammt aus einer der reichsten Familien der Welt. Anstatt sich zu freuen, reagiert sie mit Wut: «Dass ich so viel erbe, ist ungerecht, denn ich habe nichts dafür getan.» Dazu kommt die Scham anderen gegenüber, so unfassbar reich zu sein: «Man merkt, dass da eine Ungerechtigkeit ist, und darum habe ich mich gefragt: Wie viel ist genug?»
Für Unternehmer Fredy Gantner hingegen, der laut der Zeitschrift «Forbes» ein geschätztes Vermögen von umgerechnet 2.2 Milliarden Schweizer Franken besitzt, ist Geld kein Tabuthema: «Ich empfinde meinen Reichtum nicht als schambehaftet, sondern als Verantwortung.»
Erbschaftssteuer: ja oder nein?
Letztes Jahr wurden in der Schweiz mehr als 90 Milliarden Franken vererbt. Ein Drittel der Menschen erbt dabei gar nichts. Und einem Prozent der Bevölkerung kommt ein Fünftel der Erbmasse zu. Eine Erbschaftssteuer würde das Erben gerechter machen, ist Marlene Engelhorn überzeugt und kämpft für Chancengleichheit.
Konkret will Engelhorn 90 Prozent ihres Millionenerbes in Form einer Erbschaftssteuer teilen. Denn es sei auch in ihrem Interesse, in einer Gemeinschaft zu leben, in der es allen gut gehe. So hat sie die Initiative «taxmenow» mitbegründet und setzt sich für eine Besteuerung von Erbschaften ein. In Österreich existiert keine Erbschaftssteuer. In der Schweiz kennen nur wenige Kantone eine solche.
Für Multimillionär Fredy Gantner macht die bereits bestehende Vermögenssteuer viel mehr Sinn. Denn eine Erbschaftssteuer könne man viel besser umgehen. «Bevor man die Radiesli von unten sieht, kann man in ein steuergünstigeres Land ziehen», meint der Mitbegründer der Finanzgesellschaft Partners Group. Wenn Erben zusätzlich besteuert würden, sinke die Motivation, mehr zu leisten.
Geld und Macht
Für Marlene Engelhorn bedeuten grosse Vermögen auch Macht: Mit Geld könne man Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Medien nehmen, denn die Reichen bestimmten, was und wen sie unterstützen oder fördern.
Fredy Gantner gibt einen grossen Teil seines Vermögens für Stiftungen und Spenden aus. Zum Beispiel engagiert er sich bei Spitälern in Sambia. Denn er ist überzeugt, «dass in der Entwicklungshilfe private Initiativen substantiell mehr bewirken als staatliche».
Engelhorn kritisiert diese Art von Engagement: «Mit welchem Recht machen Sie eine Gesellschaft von Ihrem Wohlwollen abhängig?» Es könne nicht sein, dass Europäer und Europäerinnen einem anderen Kontinent erklären, wie sie es zu machen haben. Vielmehr fordert sie, dass Staaten in Form von Steuern mit ihren demokratischen Institutionen unterstützt werden.
Und wer erbt bei Engelhorn?
Was sein Erbe betrifft, hat Gantner bereits einen Plan: Die Hälfte seines Vermögens wird er seinen Nachkommen vererben, die andere Hälfte bleibt in seinen wohltätigen Stiftungen.
Marlene Engelhorn weiss noch nicht, was sie mit ihrem Erbe machen wird. Was sie jedoch weiss: «Das wichtigste Erbe, das man einer Gesellschaft geben kann, ist Demokratie.»