Der Starhistoriker Yuval Noah Harari warnt vor dem heranbrechenden KI-Zeitalter. Die Zeit dränge, um die Technologie noch kontrollieren zu können.
SRF News: Sie sagten kürzlich, es sei nicht sicher, dass die Welt in zehn Jahren noch von Menschen regiert werde. Wie werden wir in zehn Jahren leben?
Yuval Noah Harari: Wir wissen es nicht. Immer mehr Macht geht auf KI über. Mehr und mehr Entscheidungen über Ihr Leben werden nicht mehr von Menschen getroffen, sondern von KI. Wollen Sie einen Kredit von der Bank, entscheidet KI, ob Sie ihn bekommen. Bewerben Sie sich auf eine Stelle, entscheidet KI, ob Sie sie erhalten.
Wir sind dabei, die Kontrolle zu verlieren. Noch haben wir sie. Noch können wir kluge Entscheidungen treffen, um gefährliche Szenarien zu verhindern. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit: KI ist die erste Technologie, die kein Werkzeug ist, sondern ein Agent. Sie kann eigenständig Entscheidungen treffen und Ideen entwickeln.
Man könnte zwei Jahre nach Einführung von ChatGPT aber auch den Eindruck gewinnen, dass Ängste übertrieben waren. KI hat keine Schriftsteller ersetzt.
Die Perspektive ist zu kurz. Es ist wie bei der Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie im Jahr 1830. Angenommen wir unterhalten uns 1832 und Sie sagen mir, der erste Zug sei doch bereits seit zwei Jahren unterwegs, die Welt sei nicht so anders geworden – dann sage ich Ihnen heute: Eine solche Revolution findet nicht in nur zwei Jahren statt.
Niemand weiss, wie man eine KI-basierte Gesellschaft aufbaut.
Auch zu Beginn der industriellen Revolution waren viele skeptisch gegenüber neuen Technologien. Als die ersten Maschinen gebaut wurden, stürmten Arbeiter die Fabriken.
Als die industrielle Revolution begann, hatten die Menschen zurecht Angst. Das Problem mit der Technologie ist nicht, dass sie böse ist, sondern dass die Menschen anfangs nicht wissen, wie sie sie nutzen sollen. Wenn man die Welt im Jahr 1800 und im Jahr 2000 betrachtet, kann man sagen: Sie hat sich enorm verbessert. Aber Geschichte ist nie eine gerade Linie. Die Geschichte der industriellen Revolution glich eher einer Achterbahnfahrt.
Die Situation heute ist ähnlich.
KI ist viel leistungsfähiger als die Dampfmaschine. Aber niemand weiss, wie man eine KI-basierte Gesellschaft aufbaut. Wenn wir einen weiteren Zyklus des Aufbaus von Imperien, totalitären Regimen und Weltkriegen durchlaufen müssen und erst in hundert Jahren herausfinden, wie man eine gute KI-Gesellschaft aufbaut, ist das eine schlimme Nachricht für Milliarden Menschen.
Sollten Regierungen eingreifen?
Wenn sie es nicht tun, verlieren sie die Kontrolle über die Informationssphäre, über die Medienwelt, über die Grundlage der Demokratie. Demokratie ist ein Gespräch. Jetzt bricht es zusammen, weil eine Gruppe von Menschen zu reden versucht und plötzlich eine Gruppe von Robotern sehr laut, sehr überzeugend, sehr emotional mitredet. Mehr und mehr bestimmen Roboter und die Algorithmen über die Regeln der Diskussion. Wenn wir das zulassen, bricht das menschliche Gespräch zusammen.
Ist gute Regulierung realistisch?
Theoretisch ja. Sam Altman und Elon Musk haben offen gesagt, dass diese Technologie die Menschheit zerstören könnte. Kritiker sagen, das sei Marketing, um den Hype zu steigern. Aber ich kenne keine Ölfirma, die öffentlich sagt, Öl zerstöre die Zivilisation. Wenn Tech-Unternehmen dies tun, sollten wir sie ernst nehmen. Vor Trumps Wahl gab es noch Hoffnung, dass wir eine Art globales Abkommen zwischen den USA, China und Europa über die Regulierung von KI haben könnten. Nun sehe ich keine Möglichkeit mehr.
Das Gespräch führte Andreas Kohli.