Wenn man die Pforten des Hare-Krishna-Tempels am Zürichberg durchschreitet und eintritt, strömt den Besuchenden ein Duft von Räucherstäbchen und Weihrauch entgegen.
Hare-Krishna-Mantras erklingen an diesem Morgen um halb fünf aus den Tempelräumlichkeiten. Es sind sich immer wiederholende Wörterreihenfolgen, die einen tranceartigen Effekt haben.
Nach einiger Zeit tritt Damodar aus dem Raum, in ein oranges Gewand gehüllt. Damodar, der gebürtig Dominik heisst, ist hier der Tempelpräsident. Der 30-Jährige hat sich vor neun Jahren dazu entschieden, in den Tempel zu ziehen – bis heute. «Mit Bhakti-Yoga wollen wir uns wieder mit Gott verbinden», sagt Damodar mit seiner sanften Stimme.
Weg vom Materialismus, hin zur Reduktion auf sich selbst
«Wir glauben an Karma, an die Wiedergeburt, an die spirituelle Seele und dass wir ein ewiger Teil Gottes sind», beschreibt Damodar seinen Glauben.
Die Religion basiert auf den Prinzipien des Bhakti-Yoga, dem hingebungsvollen Dienst an Krishna, der als höchste Gottheit verehrt wird. Hare Krishna legt ein grosses Augenmerk auf einen reinen Lebensstil, den Vegetarismus, tägliche Rituale und das Studium ihrer heiligen Schriften.
Tempelbesuche und gemeinschaftliche Aktivitäten sind ebenso wichtig wie missionarische Tätigkeiten, um die Lehren Krishnas zu verbreiten.
Die Bewegung ist weltweit bekannt für ihre spirituellen Lieder, bunte Festumzüge und das Reduzieren auf ein einfaches, hingegebenes Leben.
Grüne Wiesen und grasende Kühe
Früher deutete noch nichts auf Dominiks heutiges Leben hin. Er ist in Marthalen auf einem Bauernhof gross geworden. «Wir sind ziemlich abgeschieden aufgewachsen – viel Freiheit, bis dahin war alles super», so Dominik.
Als meine Mutter gestorben ist, hat sich alles künstlich angefühlt.
Eine ganz normale Kindheit, bis ein Schicksalsschlag die ländliche Idylle erschüttert.
Im Alter von zehn Jahren verstarb seine Mutter an Brustkrebs. «Familie hat für mich bedeutet, dass meine Mutter da ist. Als meine Mutter gestorben ist, hat sich alles künstlich angefühlt. Sie war für mich der wichtigste Mensch», reflektiert Dominik. Der Tod seiner Mutter habe ihn tief geprägt und ihn erkennen lassen, dass die materielle Welt vergänglich und irgendwann alles vorbei sei.
Flucht auf den Fussballplatz
«Ich habe mich abgelenkt mit Fussballspielen. Von morgens bis abends, jeden Tag», erinnert sich Dominik. Mit zwölf dann der nächste Schritt: Der FC Winterthur ist auf den talentierten Jungen aufmerksam geworden. «Für mich war es das Grösste. Vom Bauernbuben in die grosse Stadt. Wir wollten alle Profis werden.»
Doch Dominik hatte früh mit gesundheitlichen Problemen gekämpft: «Ich litt unter Wachstumsstörungen. Ich musste mich auch einer Operation unterziehen.» Doch es sei nicht besser geworden, so habe er mit 16 Jahren aufgehört: «Für mich brach damals eine Welt zusammen.» Fussball war seine Passion, seine damalige Identität.
Lange Partynächte
Während seiner kaufmännischen Ausbildung begegnete Dominik neuen Menschen, die ihm bisher verborgene Welten aufzeigten – das Nachtleben. «Wir haben das Leben genossen, wie man das halt so macht. Teilweise gingen wir Donnerstag, Freitag und Samstag in den Ausgang.» Dominik grinst bei dem Gedanken daran. Damals brannte in Dominik der Wunsch, auszuziehen und in Winterthur heimisch zu werden.
Der damals 16-Jährige fand Unterschlupf bei Bruno. Dort wohnte bereits Simon, ein weiterer Heranwachsender. Es entstand eine feste Freundschaft zwischen den dreien. Bruno besass damals eine grosse Villa mit Pool und hatte Platz für die beiden Teenager gehabt. «Bruno hat mir viele Werte auf den Weg gegeben. Beispielsweise hat er damals schon vegetarisch gelebt.»
Er habe ihnen freundschaftliche Ratschläge mit seiner Lebensweisheit gegeben. Geplant war der Aufenthalt in der Villa nur kurz. Was als kurze Episode begann, dauerte drei bis vier Jahre. Doch bereits hier merkte Dominik, dass ihm etwas fehlte, eine grössere Vision, eine Bedeutung.
Der suchende Mönch
«Plötzlich spürte ich, wenn ich meditiere, nehme ich etwas wahr, es gibt mir Frieden.» Er sei neugierig geworden, was da noch sei, was im Unbekannten läge. Eine Bekanntschaft machte ihn aufmerksam auf Hare Krishna: «Das Strikte hat mich sehr inspiriert.» So habe er erfahren, dass man einen dreimonatigen Kurs im Tempel machen könne. Nun lebt Dominik als Damodar seit neun Jahren im Hare-Krishna-Tempel.
Als Mönch lebt er enthaltsam. Das bedeutet weder sexuellen Kontakt mit anderen Menschen noch mit sich selbst. «Sex ist bei uns heilig, weil man es in der Ehe ausübt und zum Zeugen von Kindern. Sex zur Sinnesbefriedigung wird in den Schriften nicht empfohlen.» Es sei eine Reduktion auf den Körper, doch der Geist solle frei leben.
Bunte Zeremonie am See
Die Hände zum Himmel gestreckt, der Gesang immer wiederkehrend, dieselben Wörter, die ein Mantra bilden. So zieht die Hare-Krishna-Gemeinde an einem Sonntag am Zürcher Seeufer entlang. Sie feiern das Ratha-Fest. Es werden Früchte und Flyer verteilt.
Die Zeremonie wird auch das «Wagenfest» genannt, weil Krishna in seiner Götterfigur aus dem Tempel hinausgetragen und durch die Strassen gezogen wird. Damodar ist beschäftigt, als Präsident gibt es viele Aufgaben zu erledigen.
Familie und der Glaube
Im Gegensatz zu den Mönchen eines katholischen Klosters verbringen die meisten Hare-Krishna-Mönche nicht ihr ganzes Leben hinter Klostermauern. Sie haben die Freiheit, sich für ein Leben mit Familie zu entscheiden, eine Partnerin zu finden und zu heiraten. Auch Damodar denkt darüber nach: «Das ist natürlich die Frage im Leben eines Mönchs», sagt er.
In den vergangenen neun Jahren im Kloster gab es Momente, in denen er jemanden Besonderen traf und sich fragte, ob eine Beziehung infrage käme. «Aber ja …, ich bin immer noch Mönch», fügt er hinzu. Und diesen Weg möchte er vorerst weitergehen, im Einklang mit seinem Glauben.