Erster Frauenstreiktag, 1991: Die erste lila Welle rollte am 14. Juni 1991 durch die grössten Schweizer Städte. Rund 500'000 Frauen beteiligten sich an dem Protest unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still». Es war die grösste politische Mobilisierung in der Schweiz seit dem Generalstreik nach dem Ersten Weltkrieg.
Wie das Historische Lexikon der Schweiz (HLS) beschreibt, kam es zu Aktionen wie überlangen Pausen, zum Aushängen von Transparenten oder demonstrativem Nichtstun. Frauen legten vereinzelt kurzzeitig die Arbeit nieder, versammelten sich am Arbeitsplatz, auf der Strasse oder vor Ladengeschäften. Sie liessen auch die unbezahlte Haus-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit ruhen. Die Männer sollten zu spüren bekommen, dass ohne die Frauen nicht viel geht.
Darum am 14. Juni: Die Wahl des 14. Juni kam nicht von ungefähr: Der Streik fand genau zehn Jahre nach der Abstimmung statt, in der das Volk der Aufnahme des Gleichstellungsartikels in die Bundesverfassung zugestimmt hatte.
Die Forderungen: Die Streikenden forderten die Umsetzung des Gleichstellungsartikels zur Lohngleichheit, gleiche Ausbildung für Frauen, Bekämpfung der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, Gleichstellung in der sozialen Sicherheit, mehr Krippenplätze, Blockzeiten in den Schulen, Aufteilung der Hausarbeit zwischen Mann und Frau. Ausserdem verlangten sie ein Ende der sexuellen Gewalt, der sexistischen Werbung und der Pornografie sowie effektive Massnahmen gegen Vergewaltigungen und Gewalt in der Ehe.
Die Erfolge: Das Hauptziel wurde erreicht: das Sichtbarmachen der oft unter- und unbezahlten Frauenarbeit wie Hausarbeit einschliesslich Kinderbetreuung. 1995 passierte dann das Gleichstellungsgesetz die eidgenössischen Räte. Es stellte verbindliche Regeln für die Umsetzung des Gleichstellungsartikels auf und enthielt auch ein Verbot der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Weitere Erfolge waren die Einführung der Fristenlösung 2002 (Abtreibung) und die Institutionalisierung einer Mutterschaftsversicherung 2005.
Zweiter Frauenstreiktag, 2019: Trotz der Erfolge nach 1991 ist die Schweiz von einer Gleichstellung am Arbeitsplatz noch weit entfernt. 28 Jahre später, am 14. Juni 2019, folgt eine zweite lila Welle. Die Postulate sind dieselben wie diejenigen von 1991. Neben dem Motto «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» wird auch die Anerkennung der Hausarbeit und der Kampf gegen Gewalt an Frauen gefordert.
Die Erfolge: Die stereotypen Rollenvorstellungen weichen sich weiter auf. Frauen werden zunehmend motiviert, für politische Ämter zu kandidieren. 2019 wurden das erste Mal in der Schweizer Geschichte mehr neue Frauen als neue Männer gewählt – sowohl in den Nationalrat als auch in den Ständerat.
Und heute? In Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Öffentlichkeit sind Frauen noch immer nicht gleich vertreten und besetzen deutlich weniger einflussreiche Positionen als Männer, wie die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF) schreibt. Umgekehrt leisten Frauen weiterhin den grössten Teil der unbezahlten Arbeit in Haushalt und Familie. Die Frauen fordern weiterhin Gleichberechtigung – so auch heute auf den Schweizer Strassen.