Er versorgt das Rhonental mit Wasser, ist ein Symbol der Schweizer Alpen, aber auch für die rasanten Veränderungen durch den Klimawandel in den Bergen: der schmelzende Aletschgletscher. Was macht das mit den Menschen, welche direkt davon betroffen sind? Bergführer Herbert Volken erzählt SRF Impact auf dem Weg zur Konkordiahütte über den Aletschgletscher und darüber, wie stark sich sein Beruf in der letzten Zeit aufgrund des Klimawandels verändert hat.
SRF: Herr Volken, wie oft waren Sie schon auf dem Aletschgletscher?
Herbert Volken: In meinem Leben? Keine Ahnung, ich habe nie gezählt. Aber wir sind eine Bergführerfamilie: Urgrossvater, Grossvater, Vater, Brüder, Schwager, die nächste Generation auch schon – wir alle sind und waren Bergführer. Darum gingen meine Eltern mit mir schon im Alter von drei Jahren zum ersten Mal auf den Gletscher.
Durch Ihren Beruf sind Sie ja tagtäglich mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Wie schwierig ist das für Sie zu ertragen?
Seit mehr als 70 Jahren beobachte ich den Aletschgletscher. Und er wird Jahr für Jahr kürzer und dünner. Das tut schon weh im Herzen. Aber ich glaube, wir Bergführer haben auch eine gewisse Betriebsblindheit und achten uns deshalb weniger.
Wie merken Sie die Folgen des Klimawandels denn konkret bei der Arbeit?
Die flachen Gletscher werden kleiner, Hängegletscher verschwinden, der Berg hat keinen Halt mehr. Der Fels ist nicht mehr stabil. Man muss viel mehr aufpassen auf Steinschläge und Eisabbrüche. Das geht so weit, dass man gewisse Touren oft nicht mehr machen kann wegen der Erderwärmung. Hüttenwege werden länger und komplizierter. Man kommt auch nicht mehr gut auf den und ab dem Gletscher. Der Job als Bergführer wird schwieriger und gefährlicher.
Macht es irgendwann mal keinen Sinn mehr, Leute auf den Aletschgletscher zu führen?
In den letzten Jahren geschah das Gegenteil. Von Jahr zu Jahr kommen mehr Gäste, die auf den Gletscher wollen. Viele sagen, sie wollten die Chance jetzt noch nutzen, um den Gletscher zu sehen, bevor er ganz verschwunden ist.
Spüren Sie da manchmal das Gefühl von Ohnmacht?
Nein. Ich bin zuversichtlich. Der Aletschgletscher ist immer noch 23 Kilometer lang und am Konkordiaplatz fast einen Kilometer dick. Es ist schon noch viel Eis da. Alle Menschen auf der Welt sollten einfach ein wenig vernünftiger werden und beim Klimaschutz mehr mitmachen. So können wir des Problems nicht Herr werden, aber das Verschwinden der Gletscher zumindest verzögern.
Sie gingen ja noch weiter für den Gletscher. Bis zum Papst in den Vatikan!
Ein Vorfahre von mir war Pfarrer in Fiesch. Damals, vor über 300 Jahren, war der Gletscher bedrohlich, es gab Überschwemmungen. Daher wurde damals dafür gebetet, der Gletscher solle sich zurückziehen. 2009 hatte ich eine Audienz bei Papst Benedikt XVI. und bat ihn, das Gelübde umzudrehen – dass gebetet werden soll, der Gletscher möge wieder wachsen.
Hat es was gebracht?
Gebracht hat es bisher leider nichts. Vielleicht wärs aber schlimmer geworden, wenn ich nicht gegangen wäre.
In Ihren Augen ist der Aletschgletscher also noch nicht verloren?
Auf keinen Fall. Ich glaube fest daran, dass der Gletscher wie Ebbe und Flut funktioniert. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Wachsen und Verschwinden. Es wird einfach Hunderte, Tausende Jahre dauern, bis die nächste Flut wieder kommt.
Das Gespräch führte Michelle Feer.