Im Schach gibt es mehr Spielsituationen als Atome im sichtbaren Universum. In einer normalen Stellung gebe es 20 bis 40 mögliche Züge, sagt Richard Forster, Internationaler Meister, KI-Experte und Autor: «In der Regel kann man ein paar Züge berechnen, dann muss man eine Einschätzung treffen.» Auch ein Weltmeister kann eine Partie nicht konsequent zu Ende denken. Starke Spieler erkennen jedoch intuitiv, bei welchen drei, vier Figuren es sich lohne, weiterzudenken, so Richard Forster.
Übung macht den Meister
Damit man an diesen Punkt kommt, muss man sich während Jahren mit Schach beschäftigen: Spielen, die Spiele anderer analysieren, Eröffnungen auswendig lernen und so möglichst viele Muster verinnerlichen.
Auch Rechner müssen Entscheidungen treffen, denn die Komplexität des Schachs überfordert auch die Maschine. Auch Computer können nicht jeden möglichen Zug vorausberechnen und müssen eine Auswahl treffen. Dazu gaben Programmierer der Maschine menschliche Erfahrungen mit, etwa historische Partien oder Eröffnungsstrategien.
Spielend lernen
Das änderte sich 2017 mit der Software AlphaZero. Die Entwickler der Firma DeepMind lehrten dem Programm bloss die Schachregeln – und vor allem die Fähigkeit, wie ein Kind aus den eigenen Fehlern zu lernen. Dann liessen sie AlphaZero gegen sich selbst spielen. Nach etwa vier Stunden erreichte die Software das Niveau eines Grossmeisters - mindestens.
Heute sei der Abstand zwischen ihm und Weltmeister Magnus Carlsen kleiner als zwischen Carlsen und dem Schachcomputer, erklärt Richard Forster.
Analysen zeigen, dass die KI anders spielt als ein Mensch. «Das Programm macht Manöver, die man zuvor vernachlässigt hat», meint Richard Forster. So setze sie schon früh den Bauern am äussersten Rand ein, was auf lange Sicht zu einem Vorteil führt.
Die Maschine verändert den Menschen
Schachprogramme beeinflussen das Spiel auch in anderer Hinsicht. «Eine Vorbereitung auf eine Partie ohne Computer geht nicht mehr», sagt Nico Georgiadis, Grossmeister und aktuell einer der stärksten Spieler der Schweiz.
Der 26-Jährige hat den Eindruck, dass wegen des Computers viele junge Spieler sehr schnell sehr gut werden. «Früher musste man sich ans Brett setzen und Eröffnungen studieren. Man benötigte die Hilfe anderer Menschen.» Heute zeige einem der Computer, wie eine Eröffnung geht, das erleichtere vieles.
Weil die Maschine dem Menschen haushoch überlegen ist, muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass die Kontrahenten während einer Partie Zugang zu einem Computer bekommen. Da einem starken Spieler klar ist, welche drei, vier Figuren wichtig sind, reicht schon ein kleiner Hinweis eines Komplizen im Publikum, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Eine detaillierte Anleitung für die nächsten Züge braucht der Profi nicht. Deshalb musste das Reglement angepasst werden, lange Unterbrüche zum Beispiel gibt es keine mehr.
Nico Georgiadis hofft, dass die Computer nicht noch besser werden. Für ihn wäre es das Ende des Schachspiels, wenn die Maschine einen Zug immer zu Ende berechnen könnte. Noch seien wir weit davon entfernt, so der Grossmeister. Das wird auch noch lange so bleiben.