Die Kirche hat Konkurrenz von Kakao-Zeremonien und Yoga bekommen. Die reformierte Pfarrerin Barbara Steiner und Matthias Renggli, katholischer Priester, erzählen, wie sie damit umgehen.
SRF: Sagen Sie selbst manchmal «Oh Gott!» oder «Jesus!» im Alltag?
Matthias Renggli: Ja, doch. Das zeigt, wie tief Gott in unserer Sprache verankert ist – wenn etwas schiefläuft, taucht er auf.
Barbara Steiner: Oft sogar. Ich mag es, wenn Gott im Alltag Platz hat. Das macht ihn nahbar.
Immer mehr Menschen suchen Spiritualität ausserhalb der Kirche – bei Kakao-Zeremonien oder Yoga. Was machen andere besser?
Steiner: Yogakurse, Kakao-Zeremonien oder Ähnliches sind völlig in Ordnung. Sie holen die Menschen emotional besser ab. Wir haben hingegen kein starkes Branding und dachten zu lange, die Menschen seien ohnehin da.
Renggli: Konkurrenz ist gut. Die Kirche darf nicht im Tiefschlaf verharren. Wir müssen uns fragen: Was fehlt den Menschen? Was brauchen sie wirklich?
Was sagen Sie zum Mitgliederschwund in den Kirchen?
Renggli: Klar enttäuscht das manchmal. Aber ich arbeite an der Basis und dort spüre ich: Die Leute sind froh, dass wir da sind.
Frauen und Männer können gleich berufen sein – für denselben Beruf.
Steiner: Lange fühlte sich die Kirche zu sicher, nun ist sie aber verunsichert, will niemanden verärgern. Aber die Kirche muss Profil zeigen. Vielleicht braucht es sie künftig nicht mehr in dieser Form, mit all ihren Gesetzen. Aber wir brauchen Orte, wo man Halt findet.
Was müsste die Kirche tun, damit mehr Menschen bleiben – oder zurückkommen?
Steiner: Die Menschen müssen spüren: Ich darf hier sein, wie ich bin. Wer will, soll ein Zuhause in der Kirche finden können. Aber für mich gilt auch: Qualität vor Quantität. Lieber wenige, die gern da sind, als viele, die kommen, weil sie müssen.
Renggli: Nähe schaffen durch Beziehungsarbeit. Ich verteile QR-Codes – Familien können mich damit an den Küchentisch einladen, was sie auch tun. Die Kirche muss innovativ sein, überraschen und zuhören.
Frau Steiner, Sie sind Pfarrerin – und das als Frau. In der katholischen Kirche wäre das undenkbar.
Steiner: Gott interessiert sich nicht für unser Geschlecht, sondern für unser Herz. Frauen und Männer können gleich berufen sein – für denselben Beruf.
Das Kreuz ist mein Lebensmodell: Die Horizontale bildet die Beziehung mit Menschen, die Vertikale jene mit Gott.
Renggli: Es gab in der frühen Kirche ein eigenes Amt für Frauen – das weibliche Diakonat. Ich fände es gut, wenn man das wieder wertschätzt. Aber bitte nicht alles vermischen.
Es gibt immer noch Regeln, die abschrecken können – etwa «kein Sex vor der Ehe». Wie sprechen Sie mit Jugendlichen darüber?
Renggli: Vorsichtig. Ich sage nicht: «Du darfst nicht.» Aber ich erkläre, dass Sexualität ein Geschenk ist – kein Konsumgut. Und dass die Kirche und die Bibel diese Richtung vorgeben – wie ein Nordstern. Entscheiden muss jede und jeder für sich.
Was gibt Ihnen Sinn im Leben?
Steiner: Wenn ich zum Beispiel bei einer Beerdigung merke: Es ist wichtig, dass ich da bin – dann ergibt das Sinn.
Renggli: Beziehungen. Darin kann sich der Mensch entfalten. Das Kreuz ist dabei mein Lebensmodell: Die Horizontale bildet die Beziehung mit Menschen, die Vertikale jene mit Gott.
Das Gespräch führte Peter Düggeli. Aufgezeichnet von Sofiya Miroshnyk.