Massenweise Austritte wegen Missbrauchsskandalen, immer mehr Konfessionslose: Die Kirche als Institution kämpft an allen Fronten.
Doch das heisst nicht, dass die Kirchen leer sind. Vor allem die Gotteshäuser in den Städten verzeichnen einen eigentlichen «Kirchentourismus». Das zeigt auch eine neue Studie, an der das Zürcher Grossmünster beteiligt war.
«Wir sind grad hier vorbeigelaufen. Es sieht so schön aus», sagt eine Frau vor der reformierten Kirche neben der Limmat, «wir dachten, wir schauen uns das mal an.» Ein anderer meint zu seinem Besuch: «Bei mir sind es religiöse und touristische Gründe.» In einen Gottesdienst im Grossmünster würde sie trotz Interesse aber eher nicht gehen, meint eine weitere Besucherin.
Das Grossmünster ist ein Publikumsmagnet, wie eine neue Studie zeigt: Von 2014 bis 2019 stieg die Zahl der Besuche von 544'000 auf rund 631'000 an. Während des Corona-Shutdowns sackte sie auf 191'000 ab. Seither nahm der Andrang wieder stark zu auf über 642'000 Besuche im letzten Jahr.
Zwischen Tourismus und Seelsorge
Der Grossmünsterpfarrer spricht Menschen unterschiedlichster Konfessionen an. Christoph Sigrist sieht sich immer weniger in der Rolle des traditionellen Predigers im Gottesdienst.
«Vor allem bin ich Gastgeber und begrüsse die Menschen, bin präsent im Talar, gehe auf Fragen ein, die mir gestellt werden.» Da könne es eben sein, dass neben Fragen zur Sehenswürdigkeit auch Seelsorgefragen gestellt werden. «Dann gehe ich in die Sakristei und rede mit den Menschen.»
Kirchenräume spiegeln die weltpolitische Lage und Krisen in einem grossen Mass.
In Krisen wachse das Bedürfnis nach Religiosität. Als der Ukraine-Krieg ausbrach, stieg die Zahl der Besuche im Grossmünster in wenigen Monaten um das Dreieinhalbfache.«Kirchenräume spiegeln die weltpolitische Lage und Krisen in einem grossen Mass», meint Sigrist.
Während traditionelle Gottesdienste immer weniger gefragt sind, ist das Bedürfnis nach individuellen seelsorgerischen Angeboten gewachsen. So stellt der Pfarrer fest: «Die Arbeit hier in diesem Kirchenraum, in der Intimität zu zweit oder alleine, die nimmt zu.»