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Tracking von Kindern löst schweizweit eine Debatte aus
Aus 10 vor 10 vom 05.06.2024.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 47 Sekunden.

Überwachung via Armband Hort in Birmensdorf krebst zurück und pausiert Tracking-System

Bald hätte es losgehen sollen mit dem Pilotprojekt in Birmensdorf: Mit einem Armband mit Bluetooth-Funktion hätten die Kinder des Horts auf dem Schulgelände getrackt werden können. Damit wäre für die Aufsichtspersonen jederzeit ersichtlich gewesen, wo sich welches Kind aufhält.

Kind mit Smartwatch und Smartphone
Legende: Doch kein Tracking: Nach einem Infoabend mit Eltern wird das Projekt vorerst zurückgestellt. (Symbolbild) IMAGO / Pond5 Images

Nun ist das Projekt nach einem Infoabend mit den Eltern aber auf Eis gelegt. Der Grund: «Der Abend hat gezeigt, dass das Pilotprojekt in einigen Bereichen gewisse Fragen und Bedenken auslöst.» Die Verantwortlichen an der Schule Birmensdorf würden diese Rückmeldungen ernst nehmen und hätten deshalb beschlossen, das Projekt vorerst zurückzustellen, heisst es in einer Mitteilung, die SRF vorliegt.

Damit hätten alle die Gelegenheit, sich mit den offenen Fragen noch einmal kritisch und konstruktiv auseinanderzusetzen, bevor über das weitere Vorgehen definitiv entschieden werde.

Sicherheitsbedürfnis vs. Angstgesellschaft

Entschieden gegen ein Tracking ist Thomas Minder. Der Leiter der Volksschule im thurgauischen Eschlikon und Präsident des Verbandes Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz sagt, dass ein solches System für Aufsichtspersonen keine Entlastung bringe: «Dann sind die Aufsichtspersonen statt mit dem Kind einfach mit dessen Überwachung beschäftigt.»

Pilotprojekt in Kriens (LU)

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Ein Pilotprojekt in Sachen Tracking läuft auch im luzernischen Kriens. 2022 hat die Stadt gemeinsam mit den Schulkindern und Eltern begonnen, die Schulwege aufzuzeichnen. Ziel von diesem Projekt ist es, herauszufinden, an welchen Strassen, Kreuzungen oder Fussgängerstreifen es für die Schulkinder besonders gefährlich ist.

Kinder können dabei den Schulweg aufzeichnen und gemeinsam mit den Eltern im Nachhinein noch mit Hinweisen ergänzen.

Diese Daten stehen den Verkehrsplanern mit etwa zweimonatiger Verzögerung zur Verfügung. Sie konnten zur Priorisierung von Massnahmen bereits genutzt werden, wie der zuständige Stadtrat Maurus Frey sagte.

Auch bei Ausflügen wie Schulreisen sei ein Tracking nicht nötig. «Man zählt schnell durch oder macht Zweierteams, so hat man schneller den Überblick, wer da ist und wer nicht. In der Pädagogik geht es darum, dass Menschen miteinander Kontakt haben.»

Das sagt der Kita-Verband Kibesuisse

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Der Verband Kinderbetreuung Schweiz (kibesuisse) steht Tracking-Systemen kritisch gegenüber, wie er auf Anfrage schreibt. «Mit Blick auf das Kindeswohl ist es sinnvoller, dass kompetente Betreuungspersonen anwesend sind, anstatt sich auf eine aus Sicht des Datenschutzes heikle Technik zu verlassen.»

Der Verband appelliert deshalb an die Behörden, den Augenmerk lieber darauf zu legen, ausreichende und gut ausgebildete Betreuungspersonen anzustellen.

Ausserdem sei es nicht unüblich, dass Kinder Sachen ablegen, vergessen oder verlieren. Falls dies mit einem Trackinggerät passiere, böten Trackinggeräte also bloss eine vermeintliche Sicherheit. Kibesuisse appelliert deshalb an die Erwachsenen, eine vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern aufzubauen.

Etwas versöhnlicher ist die Erziehungswissenschaftlerin und psychologische Pädagogin Margrit Stamm. Sie sieht das Problem eher bei der Gesellschaft und den Eltern als bei den Schulen. Denn: «Wir leben in einer Angst-, Sicherheits- und Kontrollgesellschaft, und Eltern stellen immer höhere Anforderungen an Schulen, Kitas oder Horte.»

Forschung zeigt eher negative Auswirkungen

Allgemein sind solche Ortungssysteme bei Eltern immer weiter verbreitet. «Das ist nachvollziehbar», so Stamm. «Eltern stehen unter dem Stress, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen. Tracking scheint eine gute Lösung, um Sicherheit und Familienalltag zu managen.»

Kinder ab 12 müssen Einwilligung geben

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Es gibt Eltern, die ihre Kinder ohne deren Wissen überwachen. Laut Uno-Kinderrechtskonvention geht das nicht. Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre. «Spätestens ab 12 Jahren muss das Kind die Einwilligung geben, wenn man es überwachen will», sagt Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm.

Als wichtig erachtet sie auch, dass man mit den Kindern darüber spricht, mit ihnen diskutiert, in welchen Situationen man das Tracking einsetzen würde.

Doch: Die Forschung zeige, dass die Auswirkungen von Tracking eher hinderlich seien, so Stamm. «Eltern, die ihre Kinder dauerüberwachen, produzieren Kinder, die ängstlich werden, nicht selbstständig, nicht selbstsicher und nur auf die Eltern fokussiert sind. Denn die Eltern führen sie mit grosser Sorge durchs Leben.»

Ich empfehle Eltern, selbstbewusster zu werden. Man kann sein Kind nie vor allen Gefahren des Lebens schützen. Es braucht Vertrauen in die Kinder.
Autor: Margrit Stamm Erziehungswissenschaftlerin und pädagogische Psychologin

Auch die Eltern-Kind-Beziehung kann dadurch negativ beeinflusst werden. «Kinder lernen so nicht, wie man Selbstverantwortung übernimmt. Sie werden später auch weniger belastbar, wenn ihre Eltern ihnen alle Hürden aus dem Weg räumen.»

Die Sicht des Datenschutzes

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Der Zürcher Datenschutz sieht solche Tracking-Systeme kritisch. Wie Sprecher Hans Peter Waltisberg gegenüber der NZZ sagt, ist eine Datenbearbeitung verhältnismässig, wenn ein «vernünftiges Verhältnis» zwischen dem verfolgten Zweck und der Datenbearbeitung besteht. Aber: «Eine dauerhafte Lokalisierung von Schülerinnen und Schülern scheint nicht erforderlich für die Betreuung von Kindern.»

Es sei zu prüfen, ob ein Bluetooth-Armband für die Lokalisierung das geeignete Mittel sei. So müsse etwa berücksichtigt werden, dass ein Armband auch abgelegt werden könne.

Grundsätzlich können sowohl Margrit Stamm als auch Thomas Minder das Sicherheitsbedürfnis der Menschen verstehen. Aber: «Die Kriminalitätsrate pro Kopf und auch die Unfallgefahr sind in den letzten 100 Jahren massiv gesunken. Objektiv gesehen ist unsere Welt sehr viel sicherer geworden», so Minder.

Doch es gebe Eltern, die in Panik geraten, wenn sich die Kinder ausserhalb der virtuellen Grenze befänden. Und Stamm ergänzt: «Ich empfehle Eltern, selbstbewusster zu werden. Man kann sein Kind nie vor allen Gefahren des Lebens schützen. Es braucht Vertrauen in die Kinder.»

10 vor 10, 05.06.2024; kesm

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