Die Tatsache, dass Menschen Musik verwenden, um Botschaften zu artikulieren, ist wohl so alt wie die Knochenflöte. Für SRF-Musikredaktor und Popkultur-Kenner Schimun Krausz ist das der Musik geradezu eingeschrieben. «Musik berührt auf einem Level, auf dem die Sprache das meistens nicht kann.»
Musik wird durch Menschen benutzt, um sich darüber politisch zu artikulieren.
Jüngstes Opfer dieser Vorliebe, Botschaften in süffige Noten zu giessen, ist der italienische DJ Gigi d’Agostino. Sein Hit aus dem Jahr 2001, «L'amour toujours», wird derzeit von braunen Kulturnostalgikern als Vehikel für ihre xenophoben Botschaften vereinnahmt. Dank unserer Social-Media-Portale geht d’Agostinos Ode an die Liebe als Medley ausländerfeindlicher Parolen durch die Decke.
Auch Yvonne Wasserloos erstaunt das nicht. Sie ist Professorin für Musikwissenschaft in Salzburg und forscht zur Musik im Rechtsradikalismus. Der Song selbst stehe auf einer anderen Seite der Interpretation, sagt Wasserloos. «Aber er wird durch Menschen benutzt, um sich darüber politisch zu artikulieren.» Dass sich der Song auch einfach zum Mitsingen eigne, dürfte die Wahl seiner Verunglimpfer begünstigt haben.
Schimun Krausz erklärt das mit dem Hook in d'Agostinos Lied. «Dieses Dee Dee Dee Dee Dee. Da hat es keinen Text im Original, da kann man drüber singen.» Begonnen habe das darum viel früher als auf Sylt. Wahrscheinlich an feuchtfröhlichen Dorffesten. Und auf drögen TikTok-Kanälen.
Hinzukommt, dass das gängige Kulturpraxis ist. Beim gemeinschaftlichen Singen vollzieht sich eine Vergemeinschaftung, wie die Kulturwissenschaftlerin Wasserloos diese Hymnisierung nennt. Wie sich Menschen beim Singen der Nationalhymne mit dem Staat identifizieren, «so verbinden sich hier politisch gleichdenkende Gruppen mit einer rechtsextremen Haltung.»
Die so emotionalisierten Botschaften würden sich durch diesen Prozess multiplizieren, sagt Wasserloos. «Dann geht die Musik nicht nur in den Kopf, sondern auch ins Herz. Das macht sie mächtig.» – Und wohl auch nicht gefeit davor, von politisch motivierten Menschen als Radikalisierungsinstrument missbraucht zu werden.
Wenn Hits zu Codes werden
So habe man in diesen Gruppierungen erkannt, dass man Dinge, die aus juristischen Gründen nicht aussprechbar sind, auf diese Weise an den justiziablen Regelungen vorbeimogeln kann. Sei der Song erst einmal gekapert, werde er rasch zum Code, so Wasserloos, «und alle Eingeweihten wissen, was gemeint ist, auch ohne es auszusprechen.»
Seit ungefähr 2010 beobachtet die Wissenschaftlerin eine gewisse Systematik in der politischen Vereinnahmung von Musik und auch von Videos. Musik sei zum Gebrauchsgegenstand geworden, dessen sich rechtsextreme Gruppen regelmässig bedienen. «Wäre es nicht dieser Song, wäre es ziemlich sicher ein anderer», resümiert Wasserlos.
Sich dem Missbrauch entgegenstellen
Der Missbrauch populärer Musikstücke bleibt wohl auch in Zukunft unausweichlich. Auch, wenn man – wie in d'Agostinos Fall – das Abspielen verbietet. Wasserloos empfiehlt daher betroffenen Komponistinnen und Komponisten, gegen den Missbrauch anzugehen.
Neil Young ist ein solcher Künstler, der genug davon hatte, dass seine Songs für die Wahlkampagne von Donald Trump herhalten mussten. Er gab darum vor vier Jahren eine neue Version seines Lieds «Looking for a Leader» heraus. Darin spricht er sich klar gegen Trumps Politik aus und fordert die Menschen auf, Joe Biden zu wählen.
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