Als Lula Inácio da Silva am 1. Januar das Amt antrat, wollte er durchregieren: Gleich elf Dekrete unterzeichnete er am ersten Tag. Er ordnete striktere Waffenkontrollen, eine Wiederbelebung des Amazonas-Fonds sowie eine Neuauflage des Sozialprogramms «Bolsa Família» an. Ein schwacher Präsident, nur knapp gewählt, seine Koalition im Parlament in der Minderheit – und dennoch, Lula da Silva preschte vor.
Eine Woche später dann der Super-GAU: Am 8. Januar stürmte ein wütender Mob von radikalen Bolsonaro-Anhängern die demokratischen Institutionen in der Hauptstadt Brasilia und forderte einen Militärputsch. Sie drangen in die Gebäude ein, ohne von Polizei oder Armee gehindert zu werden.
Fundament der Demokratie in Brasilien ist brüchig
Schnell ordnete der Präsident die Intervention der Sicherheitsbehörden der Hauptstadt an. Doch seither ist klar: Das Fundament der brasilianischen Demokratie ist brüchig. Drei Monate später ist ein Teil der Kommandoebene der Sicherheitskräfte ausgetauscht. Dennoch, wirklich vertrauen kann Lula weder Polizei noch Militär.
Die Sicherheitskräfte stehen nicht hinter Lula.
Der bolsonarotreue Polizeimajor Elitusalem Gomes de Freitas sagt SRF im Interview: «Die Sicherheitskräfte stehen nicht hinter Lula. Sie dienen nicht dem Präsidenten, sie dienen dem Volk. Wenn wir einen Punkt erreichen, an dem das Volk selbstbestimmt die Legitimität dieser Regierung nicht mehr anerkennt, muss die Regierung gehen.»
Die auf Themen der öffentlichen Sicherheit spezialisierte Journalistin Cecilia Olliveira sagt: «Lula muss gut aufpassen, mit wem er strategische Posten besetzt.»
International zurück, innenpolitisch wacklig
«Brasilien ist zurück» ist in diesen Tagen der Leitspruch der Regierungskommunikation und für die internationale Politik gilt er. Diese Woche geht Lula auf Chinareise, es gab schon Besuch aus Deutschland und der brasilianische Präsident brachte sich – von den USA, Europa und der Ukraine mit Misstrauen beäugt – als Vermittler im Ukraine-Krieg ins Spiel. Er schickte sogar auf eigene Faust einen Emissär für Sondierungen nach Russland und Frankreich.
Die Innenpolitik wiederum ist ein ständiger Balanceakt: Der Präsident liegt mit der Zentralbank im Clinch, die die Leitzinsen hochhält. Und er muss eine breitgefächerte Koalition zusammenhalten, die zum Teil Haushaltsdisziplin einfordert, zum Teil Sozialprogramme. Die Quadratur des Kreises kann nur gelingen, wenn die Wirtschaft durchstartet.
Die Regierung steht unter Druck: In einer Umfrage zeigen sich nur 38 Prozent der Befragten mit ihrer Leistung zufrieden. Dennoch stellt Politikprofessorin Alessandra Maia ein positives Zeugnis aus: Lula sei auf dem richtigen Weg, setze die versprochenen Sozialprogramme konsequent um.
Arbeitslosigkeit und steigende Ungleichheit schaffen Raum für Totalitarismus und Autoritarismus.
«Mehr als eine Million Menschen, die zu Unrecht Hilfen erhalten hatten, bekommen sie nun nicht mehr. Auf der anderen Seite gibt es 700'000 neue Hilfsempfänger, die tatsächlich extrem arm sind», sagt Maia. Die Politologin betont die Bedeutung der Sozialpolitik für die Demokratie: «Arbeitslosigkeit und eine steigende Ungleichheit in der Gesellschaft, beides schafft Raum für Totalitarismus und Autoritarismus.»